Mouse Guard und die Artefaktfalle

Im Medium Comic scheinen Mäuse eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen. Erst Disneys “Mickey Mouse”, dann Spiegelmans “MAUS”…und nun David Petersen, der mit “Mouse Guard” einen Nager-Comic vorlegt, der in den letzten Jahren für Furore sorgte.

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Das Buch selbst ist bereits haptisch ein Leckerbissen. Ich habe die englische Version von “Mouse Guard: Fall 1152” gelesen, die als Hardcover im Verlag TitanBooks erschienen ist. Auf deutsch erscheint Mouse Guard bei CrossCult. Das Buch ist hervorragend gebunden, die Vorsatzseiten sind bereits äußerst liebevoll gestaltet. Die Ausgabe vereint neben den sechs Kapiteln der eigentlichen Geschichte noch einen Anhang mit ebenfalls aufwändig gestalteten Landkarten und Infos aus der Welt von Mouse Guard.

Und diese Welt ist hart. Die Mäuse leben in abgeschotteten, geheimen und autonom organisierten Städten und Dörfern im Wald. Um jedoch von Ort zu Ort zu gelangen, ohne von ihren vielen Feinden überrascht zu werden, haben die Mäuse eine Art städteübergreifende Allianz gegründet: Die Mouse Guard. Im Zentrum der Geschichte stehen drei Vertreter eben jener Wache, die nach und nach einem Komplott auf die Spur kommen, der die Autonomie der Städte und die Freiheit der Mäuse selbst bedroht.

Soviel zur reinen Geschichte, die leider aufgrund des wenig inspirierten Settings und ihrer latenten Vorhersehbarkeit auch gleichzeitig der größte Schwachpunkt des Bandes ist. Denn leider greift auch bei dieser Fantasygeschichte das, was ich als Artefaktfalle bezeichne: Ein einzelner, mit allerhand Mythos und Macht aufgeladener Gegenstand bildet den Mittelpunkt der Story und entscheidet über Sieg oder Niederlage. War diese Idee beim “Herr der Ringe” noch revolutionär, so wirken heutige Fantasywerke, bei denen die Artefaktfalle zuschnappt, für meine Begriffe etwas schwach. Bei Mouse Guard ist es eine mystische Axt, die die Artefaktfalle zuschnappen lässt. Das ist schade, da durch diesen Mangel an erzählerischer Tiefe viel Potential verschenkt wird. Dabei zeigt doch aktuell beispielsweise George R. R. Martin mit “Game of Thrones”, dass brillante Fantasy auch ohne geheiligte und ach-so-übermächtige Artefakte möglich ist.

Mouse Guard The Back Axe

Bei Mouse Guard allerdings gibt es eine Besonderheit: Die Story tritt, auf ganzer Linie, hinter den wahrhaft fulminanten Zeichnungen und der exzellenten Koloration zurück. Das Werk ist optisch so herausragend, dass ich die narrativen Mängel allzu gerne verzeihe. Lettering, Zeichnungen, Panelaufteilung, Perspektive, Licht, Farben, Atmosphäre – hier stimmt grafisch einfach alles. Mir fällt spontan kein Comic ein, der mich grafisch ähnlich stark begeistert hat.

Über die Story sagte ein guter Freund von mir, bereits nach wenigen gelesenen Seiten: “Als die Tiere den Wald verließen meets Herr der Ringe” – und damit hat er definitiv nicht ganz Unrecht. Grafisch jedoch mein bisheriges ganz persönliches Comic-Nonplusultra.

Wer bereit ist, erzählerische Abstriche in Kauf zu nehmen und diesmal weniger auf seinen Verstand, als vielmehr auf seine Augen zu hören (ja, genau, richtig gelesen), der macht mit “Mouse Guard” alles richtig. Ich jedenfalls werde mir den zweiten Band zulegen.

Triplerezension: Fahrenheit 451

“Das Mädchen? Ein Zeitzünder. […] Es wollte nicht wissen, wie etwas gemacht wird, sondern warum. Das kann ungemütlich werden.”

In den letzten Tagen habe ich zum einen die Science-Fiction-Erzählung “Fahrenheit 451” des letztes Jahr verstorbenen amerikanischen Science-Fiction-Autors Ray Bradbury (1920-2012) gelesen, zum anderen die grafische Adaption des Stoffes von Tim Hamilton als Graphic Novel. Da ich das Buch mithin endlich gelesen hatte, stand mir nun auch die filmische Umsetzung von Francoise Truffaut offen. Genug unterschiedliche mediale Verarbeitung des gleichen, heute als klassisch zu bezeichnenden Stoffes, um ein paar Zeilen dazu loszuwerden.

Der Ursprung: Bradburys Fahrenheit 451 von 1953

Fahrenheit 451 Prosa

In einer nicht näher datierten Zukunft, die allerdings so weit entfernt nicht sein kann, sind glücklicherweise alle Häuser vollkommen feuerfest. Daher hat die Feuerwehr die im Gegensatz zu ihrer früheren Aufgabe nicht minder ehrenwerte Tätigkeit übernommen, Bücher zu verbrennen. Bücher, Sie, geneigter Leser, wissen schon, das sind diese teils etwas muffig riechenden, oftmals vergilbten alten Dinger, die meist in den unaufgeräumten Wohnstuben weltfremder Spinner rumstehen und von denen ohnehin allzu frivol-freigeistige Gedanken ausgehen, die einem wohlgeordneten Gemeinwesen nur schaden können.

So jedenfalls lautet die herrschende Meinung der Gesellschaft in Bradburys großer dystopischer Zukunftsvision. Der Protagonist, der den meiner Meinung nach hervorragend gewählten Namen Guy Montag trägt, ist Feuerwehrmann und liebt es, mit dem Kerosinschlauch ganze Bibliotheken zu vernichten. Spätestens jedoch als er ein Mädchen aus der Nachbarschaft kennen lernt, das “17 Jahre alt und nicht ganz bei Trost” ist, Clarisse McClellan mit Namen, beginnt er, sich von seinem früheren Denken zu emanzipieren. Clarisse setzt durch ihre unbekümmerte Art, die Dinge wie ein Kind zu sehen – naiv, gleichzeitig alles hinterfragend, neugierig, jovial und ohne Angst vor Emotionen – einen Prozess in Gang, der das Leben von Montag auf den Kopf stellt. Er beginnt, den Kampf gegen eine Gesellschaft aufzunehmen, in der jedes freie Denken verpönt, jeder Gedanke über komplexe zwischenmenschliche Beziehungen anrüchig und jede Individualität absonderlich ist. Am Ende, das in Form einer großen Phönixmetapher erzählt wird, ist es das prometheische Feuer, das die Gesellschaft – rettet? Zumindest verändert. Man weiß es nicht, viele Fragen bleiben in dieser Dystopie offen.

Mir hat “Fahrenheit 451” großen Spaß gemacht. Ich habe viele Jahre keine Science-Fiction mehr in Buchform gelesen, und die Lektüre von Orwells “1984”, mit dem Fahrenheit 451 oftmals verglichen wird, liegt ebenfalls ein paar Jahre zurück. Daher habe ich beinahe vergessen, was mir entgangen ist. Bradbury vermittelt einen hochrealistisch anmutenden Blick in eine Zukunft, die von Ignoranz geprägt ist. Der springende Punkt dabei ist, dass es in Fahrenheit 451 (im Gegensatz zu Orwells 1984) nicht der allmächtige Staat ist, der die Menschen unterdrückt. Es sind die Menschen selbst. Die schleichende Verdummung durch stete kulturelle Erosion, von Bradbury als beginnend mit dem Massenmedium Fernsehen diagnostiziert, führte schließlich zu einer Gesellschaftsform, in der Gleichförmigkeit und Gedankenlosigkeit vorherrschen. So sagt auch der verzweifelte Intellektuelle Faber im Buch: “Die Leute haben von selber aufgehört zu lesen.”

Einige von Bradburys Visionen haben sich bewahrheitet: Die unerlässlich Fernsehen (im Buch in Form von gigantischen TV-Wänden) schauende Ehefrau von Montag beispielsweise existiert, wie zu befürchten steht, in ähnlicher Form millionenfach. Glücklicherweise sind andere Entwicklungen, die Bradbury in seinem Buch, das er ursprünglich dezidiert als Kritik am neuen Medium Fernsehen verstand, nicht eingetreten. Das Internet, ebenfalls ein Massenmedium par excellence, führt zu einer Stärkung menschlicher Autonomie und zur gesellschaftlichen Demokratisierung.

Dennoch halte ich Fahrenheit 451 nach wie vor für relevant. Im Zentrum des Werkes steht das Medium Buch und die Gefahren, denen es ausgesetzt ist. Dass auch heutzutage ein schleichender Prozess gegeben ist, bei dem das Buch als Medium und die bildende Literatur an sich an Wichtigkeit verlieren, mögen bibliophile Unkenrufe sein; ich halte diesen Prozess (nicht nur) mit Blick auf das Angebot so manches “Buchriesen” ganz persönlich für leider unbestreitbar. Hoffentlich kein Kassandraruf an dieser Stelle.

Fazit: Fahrenheit 451 gehört zu den ganz großen Science-Fiction-Werken und muss den Vergleich mit 1984 oder Huxleys “Schöne neue Welt” nicht fürchten. Gerade für Bücherfreunde ein wahrer Horrortrip, der zu lesen sich jedoch allemal lohnt.

Der Film: Truffauts Adaption von 1966

Filmische Kunstbanausen würden sagen: Dies ist ein Film, der wirklich Spaß macht, obwohl er beinahe fünfzig Jahre alt ist. Anders herum geht die Rechnung jedoch auf: Gerade, weil der Film kurz nach dem Buch entstanden ist und damit den gleichen Geist, die gleiche latente Besorgnis um die Möglichkeiten und Gefahren einer gesellschaftlich-kulturellen Vermassung mitaufnimmt, ist Truffauts Arbeit hochgradig stimmig.

Der österreichische Charakterdarsteller Oskar Werner mimt einen anfangs defätistischen und später emanzipierten Guy Montag mit einer seltenen Brillanz. Setting und Musik fügen sich ein in ein Werk, das sich stark von der literarischen Vorlage löst, jedoch auf eine Weise, die den Ton des Stoffes immer trifft und um weitere passgenaue Aspekte erweitert.

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Die seltenen “Special-Effects” sind liebevoll gemacht und für die damalige Zeit wahrscheinlich eindrucksvoll. Die Wahl der Locations hat mir besonders gut gefallen, wird das Futuristische, das bei Bradbury nur angedeutet wird, doch auch bei Truffaut stets subtil aufgezeigt. Damit bewahrt der Regisseur die beängstigend-realistische Note nicht nur auf der Ebene der Handlung, sondern auch auf der der Drehorte.

Truffaut ist heute kein effektheischendes “Großes Kino” mehr und war dies auch nie. Dennoch belohnt dieser Film jeden, der ihn anschaut, mit seiner kühlen Analyse einer degenerierten Zukunftswelt.

Das Comic: Tim Hamiltons Graphic Novel von 2010

Tim Hamilton, der Bradburys Vorlage ins 21. Jahrhundert holte, wurde im gleichen Jahr geboren, in dem Truffaut Fahrenheit 451 verfilmte. Nun also ein Comic aus dem gleichen Stoff, zu einer völlig anderen Zeit. Ich war gespannt.

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Das auf deutsch in der Edition Büchergilde erschienene Werk ist eine Hardcover-Ausgabe – und bereits darin liegt mein erstes Lob. Warum nicht öfter gebundene Ausgaben, auch bei Comics? Die Fangemeinde ist treu und dürfte auch vor ein paar mehr Hardcoverwerken finanziell nicht zurückschrecken. Hamiltons Cover ist stark, sowohl das des Umschlags als auch das des eigentlichen Buchs.

Hamilton, der hier als (adaptierender) Szenarist und Zeichner auftritt, hielt sich sehr stark an der Vorlage, bis hin zu häufig identischen Dialogen. Dies tut dem Werk keinen Abbruch, da Hamilton sich gleichzeitig an dem Kunststück versucht, sich selbst und seiner Schöpfung genug künstlerische Beinfreiheit zu lassen. Zwar nicht durch narrative oder inhaltliche Änderungen, aber durch großartige Zeichnungen und vor allem durch eine höchst gelungene Koloration.

In vor Kontrast nur so strotzenden film-noir-artigen Zeichnungen verwendet Hamilton eine Farbgebung, die von Sepiatönen bis hin zu gleißenden Feuerfarben reicht und immer den richtigen (Farb)ton trifft. Durchgehend nutzt Hamilton dabei eine Art “Panel-über-Splashpanel”-Technik, bei der eine über die gesamte Seite reichende Zeichnung unter den eigentlichen Panels hindurchscheint und diese inhaltlich und farblich ergänzt. So konsequent habe ich dies bisher bei noch keinem Comic gesehen.

Farblich und zeichnerisch sehr stark, inhaltlich solide. Leichte inhaltliche Veränderungen und Neuinterpretationen, wenngleich auch nur in Details, hätten dem Werk jedoch gut getan. Unterm Strich definitiv lesenswert.

Ode an die Neunte Kunst: “Yay, Comics!”

Die Podcast-Szene wächst und gedeiht, und Bücherpodcasts gibt es viele. Unter den Podcasts, die sich dezidiert mit Comics befassen, gibt es leider nur wenige Perlen. Eine davon möchte ich allen Comicbegeisterten und solchen, die endlich auch zu diesem illustren Kreis gehören wollen, empfehlen: „Yay, Comics!“ des berliner Kreativen Carlito.

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Seit knapp einem Jahr wandert Carlito durch die berliner Comicszene und berichtet im Gespräch mit diversen Vertretern der Neunten Kunst über Neuerscheinungen aller Art, über Autoren, Zeichner, Verlage, Stile, Verfilmungen, Messen, Cons und mehr. Das Ganze ist handwerklich auf einem sehr hohen Niveau und wird, sehr zu meiner Freude, stets mit entspannt-jazzigen Pianoklängen untermalt. Dabei deckt das Repertoire der Themen inhaltlich nahezu das gesamte weite Feld der Comics ab, wenngleich ein leichtes Übergewicht hin zu amerikanischen (Superhelden-)Comics gegeben ist. Aber das lässt sich verschmerzen.

Der Stil ist locker, es wird einfach drauflos geplaudert, zum Glück gibt es kein Skript. Gern gesehene Gesprächspartner sind dabei vor allem die Jungs des berliner Comicladens „Grober Unfug“. Alles wirkt ein wenig improvisiert, aber gerade das macht den Reiz des Podcasts aus. An einigen Stellen musste ich laut lachen, an anderen zumindest schmunzeln, immer fühlte ich mich gut unterhalten.

Bisher sind 16 Folgen erschienen, die allesamt im Schnitt etwa eine Stunde lang sind. Diese Stunde ist gut investiert. “Yay, Comics!” eignet sich meiner Meinung nach nicht nur für eingefleischte Fans des grafischen Erzählens, sondern insbesondere auch für Anfänger. Neben den Comics an sich erfährt man auch einiges über die berliner Comicszene.

To cut a long story short: Reinhören lohnt sich!