Arnon Grünberg – Der Mann, der nie krank war

“Es klappt nicht. Er kann einfach kein Verständnis für so etwas aufbringen. Und obwohl er einsieht, dass es etwas Kleinliches hat, so an seiner Kleidung zu hängen, und ganz und gar nicht zu einem weltläufigen Mann passt – einem Mann, der nicht mehr braucht als seine Ideen, sein Notebook und eine Zahnbürste –, will er jetzt nur eins: seine Kleidung zurückhaben.”
– S. 46

Die Werke Arnon Grünbergs waren für mich die literarische Entdeckung des Jahres 2013. Grünbergs “Der jüdische Messias” zeigte mir nach Jahren aufs Neue, wie mutig und radikal moderne Literatur sein kann. Nach der Lektüre des Werkes erhielt ich damals die Gelegenheit, ein Interview mit Arnon Grünberg zu machen, was für einen Blogger sicher nicht alltäglich ist.

Nun also sein neues Werk: “Der Mann, der nie krank war”, erschienen bei KiWi. Allein aufgrund des Autors für mich eine Pflichtlektüre – kann das Werk jedoch halten, was es verspricht?

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Hilfe! Ein Award!

Wie die Jungfrau zum Kinde kam ich gestern zu meinem ersten Blogger-Award. Nicole, die einen ambitionierten Literaturblog mit dem schönen Namen Urwort betreibt, verlieh mir (ja, mir!) den Best Blog – Award. Dafür zuerst einmal: Vielen Dank! Aber: Was soll ich davon halten?

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Natürlich soll ich mich freuen! Und das tue ich auch. Trotz des – ich sag es mal vorsichtig – latent kitschigen Award-Bildes. Wenngleich ich über die Nominierung recht überrascht bin, da ich mich leider – vor allem aufgrund des chronischen Zeitmangels – bisher immer aus derlei Dingen wie Award-Nominierungen rausgehalten habe. Die knappe Zeit lässt nur wenig Spielraum für die Kommunikation mit anderen Bloggern, was außerordentlich schade ist. Das führt allerdings auch dazu, dass ich mich in der sogenannten “Blogosphäre” nicht besonders gut auskenne. Das ist noch untertrieben: Mir sagen ein paar Blogs etwas, ich kenne quasi die Stars der Branche, weiß aber weder, wie die alle miteinander zusammenhängen, also wer mit wem was wie wo macht und wer mit wem kann, noch welcher Blog gerade angesagt ist oder nicht. Schande über mich!

Fragen schaffen Erkenntnis

Die Awards sind dazu gedacht, bloggophiles (ha, ein Neologismus!) Marketing zu betreiben und Aufmerksamkeit für aufstrebende Sterne am Literaturbloggerhimmel zu generieren und dabei en passant durch die Beantwortung von Fragen mehr über die anderen Blogger zu erfahren. Man soll also den Award nebst personalisiertem Fragenkatalog weiterleiten. Phew, alles Neuland für mich…

Bevor ich aufdecke, wen ich für den “Best Blog”-Award nominiere, zuerst die Beantwortung der von Nicole gestellten Fragen

1.) Wie lange praktizierst Du das Bloggen? & Was motiviert Dich?
Ich blogge seit Ende 2012, also noch nicht allzu lange. Motiviert werde ich vor allem dadurch, beim Schreiben von Rezensionen meine Gedanken zu einem guten (oder nicht so guten) Buch noch einmal Revue passieren zu lassen

2.) Welchen Beruf übst Du aus?
Ich bin Rechtsreferendar am Landgericht Münster. Momentan bereite ich mich auf das 2. juristische Staatsexamen vor, das ich in den ersten beiden Mai-Wochen schreiben werde. Ich hoffe sehr, danach wieder ein klein wenig mehr Zeit für die Bloggerei zu haben.

3.) Hast du Autoren-Vorlieben?
Im Bereich klassischer Literatur ganz klar Franz Kafka und Stefan Zweig (vielleicht gerade, weil beide stilistisch nicht unterschiedlicher sein könnten). Im Bereich zeitgenössischer Werke hat es mir Arnon Grünberg angetan. Bei den Comics bin ich großer Freund von Jiro Taniguchi, Jeff Lemire und Jonathan Hickman.

4.) Erzähle von deinen Lieblings-Blogs – Wem folgst du? Warum?
Oh, Gott – das ist schwer. Wie gesagt: Ich kenne die Blogosphäre ungefähr so gut, wie ich mich mit Mathematik auskenne: Fürs kleine Einmaleins reicht es so gerade. Das war es dann auch. Ich gelobe Besserung! Aber natürlich folge ich dem Blog meines Kumpels Tilman von 54books, ebenso Katharina mit ihrem Kulturgeschwätz. Mit Vorliebe lasse ich mich gelegentlich auch bei Twitter von Blog zu Blog treiben (ich glaube, man nennt das Surfen, in diesem Internet).

5.) Welchen Einfluss hat die Literatur auf dein Leben?
Darüber müsste ich mal ein Essay schreiben, oder Ähnliches – jedenfalls eine sehr weitläufige Frage. In einem Satz: Lesen ist die produktivste Form der Entschleunigung.

6.) Impuls-Antwort erwünscht: Welches Buch macht einen Tag für dich vollkommen?
Ganz impulsig: Stefan Zweigs “Die Welt von Gestern”.

7.) Deine Meinung: Sommerbuch 2014?
Florian Illies’ “1913”…haha! Nein, ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Vielleicht noch denkbar, aber eher nicht als “Sommerbuch” (was ist ein Sommerbuch?): In Bälde erscheint wohl, wie gut unterrichtete Kreise verlautbarten, eine Comicadaption von Remarques “Im Westen nichts Neues”. Passt natürlich zum Thema 100 Jahre WK1 und war sowieso längst überflüssig: Ein großes Werk wie das genannte gehört einfach auch als Comic auf den Markt.

And the Award goes to…

Nun zu meiner Nominierung. Mein Problem bei der Auswahl ist, wie gesagt: Ich kenne keine aufstrebenden Sternchen. Aber da der Award-Titel “Best Blog” heißt, kann ich meine Auswahl mit Fug und Recht vertreten, denn der von mir benannte Blog ist wirklich stark:

Mein “Best Blog”-Award geht an Birgit Böllinger von “Sätze und Schätze”!

Der Fragenkatalog bleibt derselbe (s.o.) – mit einer Zusatzfrage:

8.) Wenn du drei Bücher vor der Apokalypse, die alle anderen Bücher auf dem Planeten zerstört, retten könntest – welche wären es?

Das war’s! Nach bestem Wissen und Gewissen. Hat Spaß gemacht – danke nochmal an Nicole!

Interview mit Arnon Grünberg

Willkommen zu einer kleinen Premiere: Dies ist das erste Interview des Blogs! Nach und nach werde ich nun das ein oder andere Interview von spannenden Personen aus der Bücherwelt veröffentlichen.

Ganz besonders freue ich mich, dass die neue Interviewreihe gleich mit einem bekannten Namen startet: Arnon Grünberg. Vor ein paar Tagen noch habe ich seine großartige Satire “Der jüdische Messias” besprochen (mit einigen Infos über Grünbergs Leben und Schaffen), heute folgt ein kleines Interview mit dem Autor hinter dem Werk.

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Der “Messias” hat mich, unschwer zu erkennen, zuletzt enorm begeistert. Aus dieser Begeisterung heraus habe ich mir gedacht: Was soll’s, “Versuch macht kluch”, ich schreibe ihm einfach mal eine Mail mit der Interviewanfrage. Ich ging davon aus, nein, ich war mir sicher, dass keine Reaktion folgen würde (schließlich hat Stephen King den Brief, den ich ihm im Alter von 16 Jahren schrieb, auch nicht beantwortet…).

Herr Grünberg belehrte mich eines Besseren.

Der niederländische Schriftsteller stand mir Rede und Antwort und sprach dabei über die Kulturindustrie, Comics und das Tanzen aus der Reihe:

TuB: “Ist die augenzwinkernde Aussage Ihres Freundes Daniel Kehlmann, er habe Angst vor Ihnen, berechtigt?”
Grünberg:
“Das müssten Sie eigentlich Ihn fragen. Er hat, würde ich sagen, gemeint, dass er mich ziemlich sympathisch findet – jedenfalls hoffe ich das – und, dass meine Figuren oft weniger sympathisch sind. Man versucht immer zu verstehen, warum ein Schriftsteller so etwas Abgründiges schreiben kann; das heißt vor allem wenn es um Gewalt geht ist es anscheinend irgendwie schwierig zu verstehen, dass ein Schriftsteller so etwas schreiben kann und sich doch ziemlich ‘gutbürgerlich’ benimmt.”

TuB:
“Ihre Figuren sind häufig abgründig, gefühlskalt, gewaltaffin – jedenfalls maximal aus der Reihe tanzend. Wie ist dies mit dem ruhigen, stets freundlichen Autor Arnon Grünberg vereinbar – oder gilt gerade bei Ihren Werken der literaturwissenschaftliche Grundsatz: ‘Der Autor ist tot’?”
Grünberg:
“Vielleicht sollte man Literaturwissenschaft studiert haben, um diesen Satz wirklich zu verstehen. Übrigens liebe ich Barthes, auch wenn er oft für mich etwas Unverständliches hat. Aus der Reihe zu tanzen ist ja eigentlich das Einzige, das uns interessieren kann – es geht doch immer um die Ausnahme, oder? Aber in meinen Büchern geht es ja auch sehr oft um Figuren, die sich Mühe geben nicht aus der Reihe zu tanzen. Das find ich spannend: Das man trotzdem aus der Reihe tanzt.”

Tub:
„Warum erscheint Ihr großartiges Werk „Der jüdische Messias“ erst jetzt, neun Jahre nach dem Erscheinen im Original, in Deutschland? Galt der kontroverse Stoff hierzulande als schwer vermittelbar oder standen andere Gründe im Vordergrund?“
Grünberg:
“Das sollten Sie den Verlag fragen. Übrigens schätze ich den
Diogenes Verlag enorm, und vor allem auch den leider verstorbenen Verleger Daniel Keel, aber innerhalb des Verlags gab es Stimmen, die dieses Buch nicht machen wollten, oder noch nicht machen wollten. Aber nun ist das ja gelöst.”

TuB:
„Ich habe Ihren ‘Messias’ in einer in Leinen gebundenen Ausgabe genossen. Alles andere kann ich mir schwer vorstellen – wie ist Ihre Meinung zu eBooks und dem digitalen Wandel des Buchmarkts?“
Grünberg:
“Jeder Experte sagt: Das eBook kommt. Also lass es kommen. Ich selbe lese lieber richtige Bücher, ich mag es, das Buch anzufassen. Aber das heißt nicht, dass ich gegen eBooks bin. Wozu auch? Es gibt bessere und wichtigere Feinde.”

TuB:
”Mögen Sie Comics? Könnten Sie sich eine Comicadaption eines Ihrer Werke vorstellen?”
Grünberg:
”Doch. Tintin, heißt das so auf Deutsch? – war für mich unheimlich wichtig als Kind. Ich hab das verschlungen. Also eine Reportage von mir über eine Reise in 2010 von Istanbul nach Bagdad über Land ist auch als Comic erschienen.”

TuB:
„In einem Ihrer täglichen Blogposts schreiben Sie über die Holocausterziehung deutscher Schulkinder im Geschichtsunterricht, die auch mittels Comics erfolgt. Was halten Sie vor diesem Hintergrund von Werken wie „MAUS“ Ihres New Yorker Kollegen Art Spiegelman?“
Grünberg:
”Es ist nicht sehr originell, aber ich fand Maus großartig. Und ist Unterricht nicht ein andauerndes Experiment?”

TuB:
„Sie leben und arbeiten hauptsächlich in der Welthauptstadt New York. Wie muss sich der außenstehende Literaturfreund das Leben eines international erfolgreichen Autors in New York vorstellen?“
Grünberg:
”Ich stehe auf, ich schreibe. Schreiben ist ja auch Kulturindustrie, das heißt ohne Disziplin geht es nicht. Obwohl vielleicht nenne ich eine Art Sucht einfach Disziplin.”

TuB:
„Bei welchem New Yorker Buchladen kaufen Sie Ihren Lesestoff?“
Grünberg:
”Sie werden mich vielleicht verfluchen, aber ich kaufe viel bei Amazon. Es gibt dann noch eine Buchhandlung, die ich mag: 192 Books on 10th Avenue.”

TuB:
„Welche drei Bücher anderer Schriftsteller haben Ihnen zuletzt überhaupt nicht gefallen – haben Sie persönliche ‚Hassbücher‘?“
Grünberg:
”Ich habe keine Zeit mehr, Bücher zu lesen, die mir nicht gefallen.”

TuB:
„Nutzen Sie zum Schreiben irgendeine besondere Autorensoftware, um zu plotten und den Überblick zu behalten – oder verlassen Sie sich auf Ihr Gedächtnis und Ihre Intuition?“
Grünberg:
”Keine Software. Ich finde, dass ich intelligenter bin als Software.”

TuB:
„Sie sind nicht nur ein produktiver Erfolgsautor, sondern auch ein fleißiger Blogger. Welchen Tipp können Sie jungen, ambitionierten Autoren und Bloggern mit auf den Weg geben?“
Grünberg:
”Eitelkeit ist der Feind, eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber Kritik und das Schweigen der Welt sind sehr hilfreich. Jeder, der mitarbeitet in der Kulturindustrie ist auch irgendwie Fabrikarbeiter. Die Kulturindustrie ähnelt einer Fabrik, also überschätze die eigene Freiheit nicht.”

Herr Grünberg, herzlichen Dank für das Gespräch!