54stories – Es gibt nie genug Geschichten

Was schmeckt besser als Prosa und Lyrik?

54stories ist eine Plattform für Prosa und Lyrik, die alles sein und alles sagen kann…

…so der erste Satz der Selbstbeschreibung der neuen, kleinen aber feinen Literaturplattform 54stories.de. Den Anfang macht ein Adventskalender, bei dem es hinter jedem Türchen einen literarischen Leckerbissen, sei es eine Kurzgeschichte oder ein Gedicht, zu entdecken gilt.

 

Auch ich werde bei 54stories mit einer Kurzgeschichte vertreten sein. Ich bin gespannt, ob dieser „Leckerbissen“ schmeckt. Auf fröhliches Türchenöffnen…

Einen schönen ersten Advent Euch allen!

Junge Kurzprosa aus dem Mairisch Verlag – Florian Wacker und Dorian Steinhoff

Dass es auch und gerade im Indie-Bereich so manche Perle zu entdecken gibt, ist an sich nichts Neues. Nur leider habe ich, zumindest was Prosa angeht, den Indie-Bereich bisher unverständlicherweise in meinem Leseleben allzu sehr vernachlässigt. Das soll nun ein Ende haben. Beginnen werde ich mit zwei Werken aus dem Hamburger Mairisch Verlag.

Florian Wacker: “Albuquerque”

“Bunge hörte Musik, wie andere Karpfen an Land zogen oder sich über ihre Beete beugten: absolut konzentriert, mit zusammengepressten Lippen. Wenn ich zu laut Kaffee schlürfte, riss er die Augen auf und stierte mich an, als wollte er mich einen Kopf kürzer machen. Wir hörten die Platten in einem Rutsch durch, danach pfropfte Bunge Schnaps auf und wir tranken auf die großartigste und erschütterndste Musik, die die Menschheit je hervorgebracht hatte.”

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Florian Wacker, Jahrgang 1980, schreibt klassische Kurzgeschichten, keine länger als 15 Seiten. Ein Format, das mich früher begeisterte, das ich mir nun jedoch erst einmal wieder erarbeiten musste. Wacker macht es dem Leser dabei leicht: Seine Geschichten sind zugänglich, vordergründig unkompliziert. Er erzählt vom Alltagsgrau, das alle kennen, die dieser unserer Spezies angehören, und er erzählt aus den verschiedensten Alltagsfacetten seine Geschichten mit einer bewundernswerten Leichtfüßigkeit. Das gefällt, vor allem stellt sich bei Wackers Prosa der Gedanke ein: Komm, eine noch. Eine Geschichte wie ein gutes Bier: Süffig, flüssig, man möchte mehr davon.

Subtil, subtiler, Guterson: Der Kurzgeschichtenband “Zwischen Menschen”

1994 wurde der US-amerikanische Schriftsteller David Guterson mit “Schnee, der auf Zedern fällt” schlagartig berühmt. Zwanzig Jahre, viele Veröffentlichungen und Auszeichnungen später legt Guterson mit “Zwischen Menschen” eine Sammlung seiner Kurzprosa vor, die auf deutsch bei Hoffman und Campe erscheint.

Auf einer Zugfahrt habe ich einen verstohlenen Blick auf die Feuilletonseite, die die Dame neben mir las, geworfen. Dort wurde Gutersons “Zwischen Menschen” hochgelobt, also dachte ich mir, dass es die Lektüre wert sei. Die Besprechung von Gutersons Werk ist jedoch nicht ganz einfach – denn der Autor aus Seattle ist fast nicht zu (be)greifen.

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Probleme mit Menschen

“Problems with People” – so heißt der Kurzprosaband im amerikanischen Original. “Erzählungen” heißt der deutsche Untertitel. Es handelt sich also um kurze Erzählungen, in denen es um zwischenmenschlichen Probleme geht. Soweit die Ausgangslage, dachte ich mir beim erstmaligen Öffnen des Buches und beim Lesen der ersten Seiten. Die Geschichten tragen Namen wie “Paradise”, “Thermalquelle”, “Feedback” und “Krasawize”. Leider sind die Plots, die Guterson wählt, weniger abwechslungsreich als die Titel es andeuten.

“Mieterin” heißt die erste Geschichte, die von einem Vermieter handelt, der eine seiner Wohnungen an eine neue, junge Frau vermietet, die sein Interesse weckt. Er möchte eine zwischenmenschliche Beziehung zu dieser Frau herstellen – irgendeine Form der Beziehung –  scheitert aber an Angst, Anpassung und übersteigertem Sicherheitsdenken. Die erste Geschichte ist meiner Meinung nach direkt die stärkste Geschichte des gesamten Bandes: Hier hält Guterson alles, was er verspricht. Zwei Menschen, die äußerst unterschiedlich sind und doch miteinander zu tun haben (müssen), finden nicht zueinander. Das reicht schon für einen Roman; im Alltag findet sich alles, was große Geschichten ausmachen. Guterson würzt “Mieterin” dabei zusätzlich mit einer sanften Prise Humor, der aus dem Umstand entsteht, dass der Protagonist sich selbst permanent an die Kette legt. Die Lektüre hat mir ausgesprochen gut gefallen.

Subtil und glatt

Leider hält Guterson das Niveau nicht durch, wenngleich – das gilt es herauszustellen – keine der Erzählungen wirklich schlecht ist. Nur leider vermochte es jedoch keine der anderen Geschichten, mich nachhaltig zu packen.

Guterson versucht, auf psychologischer Ebene auszuloten, wie verworrene und zum Scheitern verurteilte Beziehungen zwischen Menschen funktionieren. Dieses Anliegen ist aller Ehren wert. Jedoch versäumt Guterson, die Konfliktlagen, die er webt, auszureizen. Er zeichnet ganz bewusst subtile und effektfreie Alltagssituationen auf, wohl um darzustellen, wie die menschliche Psychologie bewusst oder unbewusst auch im Kleinen wirkt. Dabei schrammt Guterson auf der Suche nach psychologischer Subtilität jedoch häufig haarscharf an der Langeweile vorbei. In einer Geschichte geht es um einen Chirurgen, der in Nepal seine im Krankenhaus liegende Exfrau aufsucht und in der Kommunikation mit ihr scheitert, da die Verletzte einschläft. Vorher trifft der Chirurg einen Straßenjungen, der ihn um Geld anfleht. Das ist die gesamte Geschichte. Man könnte etwas Großes daraus machen – vielleicht sogar mit einer Pointe am Ende. Bei Guterson bleibt hier nur ein Mann, mit dem man etwas Mitleid hat, das sich jedoch verflüchtigt, wenn man bemerkt, dass dieser Mann selbst kein Mitleid mit dem Straßenjungen und auch nicht mit der verletzten Exfrau hat. Es gibt keinen präsenten Konflikt, keine Pole, zwischen denen eine psychologische Spannung erzeugt werden könnte. Oder eben nur so wenig, dass fraglich ist, ob die Lektüre lohnt.

Was von alldem bleibt

Lichtblicke gibt es da, wo Guterson jüdische Lebens- und Gedankenwelten aufzeigt. Das fand ich persönlich hochinteressant, sodass “Krasawize” – die Geschichte eines alten jüdischen Amerikaners, der mit seinem Sohn eine Tour durch Berlin macht – für mich die zweitbeste Erzählung des Bandes ist.

Viele Geschichten von Guterson spielen jedoch im immer gleichen Milieu: Es geht fast nur um Akademiker und deren Alltagsprobleme. So gut wie alle Protagonisten haben studiert, häufig arbeiten sie als Dozent an der Universität oder am College, sind Ärzte oder, in gleich vier von zehn Geschichten, Juristen. Keine der guterson’schen Hauptpersonen hat existenzielle Probleme – schon gar nicht ökonomisch. Guterson will die Problems with People ausloten, beschränkt sich aber auf eine bestimmte Gruppe.

Das ist genug für einige ausgesprochen ruhige Lesestunden. Für eine Lektüre, die zum Denken anregt, die ein wenig wachrüttelt und fesselt, ist das zu wenig.