Junge Kurzprosa aus dem Mairisch Verlag – Florian Wacker und Dorian Steinhoff

Dass es auch und gerade im Indie-Bereich so manche Perle zu entdecken gibt, ist an sich nichts Neues. Nur leider habe ich, zumindest was Prosa angeht, den Indie-Bereich bisher unverständlicherweise in meinem Leseleben allzu sehr vernachlässigt. Das soll nun ein Ende haben. Beginnen werde ich mit zwei Werken aus dem Hamburger Mairisch Verlag.

Florian Wacker: “Albuquerque”

“Bunge hörte Musik, wie andere Karpfen an Land zogen oder sich über ihre Beete beugten: absolut konzentriert, mit zusammengepressten Lippen. Wenn ich zu laut Kaffee schlürfte, riss er die Augen auf und stierte mich an, als wollte er mich einen Kopf kürzer machen. Wir hörten die Platten in einem Rutsch durch, danach pfropfte Bunge Schnaps auf und wir tranken auf die großartigste und erschütterndste Musik, die die Menschheit je hervorgebracht hatte.”

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Florian Wacker, Jahrgang 1980, schreibt klassische Kurzgeschichten, keine länger als 15 Seiten. Ein Format, das mich früher begeisterte, das ich mir nun jedoch erst einmal wieder erarbeiten musste. Wacker macht es dem Leser dabei leicht: Seine Geschichten sind zugänglich, vordergründig unkompliziert. Er erzählt vom Alltagsgrau, das alle kennen, die dieser unserer Spezies angehören, und er erzählt aus den verschiedensten Alltagsfacetten seine Geschichten mit einer bewundernswerten Leichtfüßigkeit. Das gefällt, vor allem stellt sich bei Wackers Prosa der Gedanke ein: Komm, eine noch. Eine Geschichte wie ein gutes Bier: Süffig, flüssig, man möchte mehr davon.

Eines sind Wackers Geschichten dabei sicher nicht: Kühl. Die Charaktere, die Wacker zeichnet, sind einfache Menschen, Straßenarbeiter, LKW-Fahrer, Flüchtlinge, Rezeptionistinnen, Busfahrer. Wacker erzählt von einem eingeschworenen Team von Straßenarbeitern, das zerbricht. Erzählt von Amateurfunkern, von einer Eule im Bus und von einem jungen Vater, der in die Hooligan-Szene abgleitet. In einem geerdeten Kontext erzählt Wacker von Ereignissen, die das Leben der Protagonisten vielleicht nicht völlig umkrempeln, aber doch symptomatisch sind für ein bestimmtes Lebensgefühl, für Probleme, denen man nicht ohne Weiteres entkommt, für kleine Veränderungen, die in summa ein Leben ausfüllen. Wackers Kurzprosa zu lesen, wühlt nicht gerade auf, lässt einen aber die Kleinigkeiten des Alltags ein wenig schärfer sehen.

Was mir nicht gefiel: Die Namen der Protagonisten. Gut, das ist Jammern auf recht hohem Niveau. Die Personen heißen Bunge, Muffe, Budde, Jerro oder Reik. So sind dann auch teilweise die Titel der Geschichten. Warum nur? Ein weiterer gewöhnlicher Name wie die beispielsweise ebenfalls vorkommenden Andy oder Georg hätte dem hochrealistischen Anspruch dieser gelungenen Prosa sicherlich gut getan.

Wackers Stil ist klar, einfach, reduziert, für meine Begriffe aber etwas zu seicht, ein wenig zu vorsichtig. Dazu unten mehr.

Dorian Steinhoff: Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern

“Ansgar lachte nicht über etwas, er lachte etwas weg, trieb es vor sich her, mit weit aufgerissenem Mund, als wolle er die ganze Welt anschreien, und wenn er dann anfing zu husten, war es, als ob er sich an ihr verschluckt hätte.”

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Dorian Steinhoff, genau wie ich Jahrgang 1985, hatte es bei mir von Anfang an nicht leicht: Gleich in der ersten Geschichte finden sich in einem Absatz zwei dicke juristische Fehler. Aber das fällt nur Eingeweihten und nörgeligen Pedanten wie mir auf, für alle anderen ist Macheten-Bande einfach nur eine gute Geschichte über dysfunktionale Freundschaften und das Unvermögen, nein sagen zu können.

Doch von Anfang an: Dorian Steinhoff nimmt sich Zeit, seine Kurzprosa ist lang. Seine Erzählungen umfassen teilweise vierzig Seiten und mehr, fein komponiert, ich bin fast geneigt, von kleinen Novellen zu sprechen. Insbesondere die Erzählung Ansgar Boos, die ebenfalls, aber völlig anders vertrackte Freundschaften thematisiert, liest sich wie ein komprimierter Roman, was auch daran liegt, dass hier ein längerer Zeitabschnitt dargestellt wird.

Steinhoff gehört mit dem oben genannten Geburtsjahr zur vielbeschworenen soziologischen Kohorte der “Generation Y”, jenem fragwürdigen Einteilungskonstrukt, das die heutigen End-Zwanziger im Mittel als hochqualifiziert, wertekonservativ, familiär und im Wortsinne eigenwillig beschreibt. Ob gewollt oder ungewollt, die Steinhoffschen Charaktere entsprechen durchaus mal mehr, mal weniger dieser Zustandsbeschreibung: Die Personen seiner Erzählungen entstammen häufig einem akademischen Milieu oder umkreisen es; wir haben zudem den klassischen Backpacker, den klassischen städtischen WG-Bewohner. Dies wird jedoch immer wieder angenehm kontrastiert: Der Backpacker macht in Südasien eine unheilvolle Begegnung mit einem völlig verirrten DJ, der WG-Bewohner lernt einen gescheiterten Schauspiel-Eleven und dessen Künstlerfreundin kennen.

Durch die häufig genutzte Ich-Form kann Steinhoff die persönlichen Bewertungen des Geschehens durch den Protagonisten gleich mitliefern, wovon der Autor ausgiebig Gebrauch macht, vielleicht etwas zu viel.

Wacker, Steinhoff, Mairisch – Was nun?

Ich sage es geradeheraus: Mir hat Steinhoffs “Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern” besser Gefallen als Wackers “Albuquerque”. Das mag daran liegen, dass ich die Lebenswelt der Steinhoffschen Charakter besser nachvollziehen kann – allerdings muss man Wacker einen größeren Abwechslungsreichtum zugestehen.

Beide Autoren, jung wie sie sind, kranken jedoch ein wenig an der Mutlosigkeit. Ihre Sprache ist schnörkellos, die von Wacker fast schon lakonisch, aber wenig eigensinnig. Stilistische Experimente bleiben aus, auch ein stilistisches Aus-Dem-Fenster-Lehnen findet nicht statt. Keine Neologismen, keine mitreißenden Satzkonstrukte, wenig Bilder. Da ist beispielsweise ein Saša Stanišić weitaus progressiver.

Das tut dem Lesegenuss jedoch inhaltlich keinen Abbruch. Und inhaltlich – was die vermittelte Atmosphäre, die menschlichen Regungen, die Charakterisierung angeht – nehmen sich Steinhoff und Wacker nicht viel, sind beide sicherlich Autoren, die man für die nächsten Jahre auf dem Zettel haben sollte. Also: Lesen!

Ach ja, dann war da noch dieser Verlag, der die beiden Genannten rausbringt und den ich mal wieder nicht auf dem Zettel hatte: Mairisch. Ein Indie-Verlag, der jenseits des vielversprechenden Programms handwerklich ansprechende Hardcover-Bücher macht, mit Lesebändchen und gelungenem Coverdesign: Gäbe es den Mairisch Verlag nicht, man müsste ihn erfinden.

Ich bin nun endgültig angefixt, von Kurzprosa, von Indie-Literatur.