Stefan Zweig: „Buchmendel“ und „Die unsichtbare Sammlung“

Stefan Zweigs enorme produktive Schaffenskraft brachte nicht nur die allseits bekannte und beliebte „Schachnovelle“, die „Sternstunden der Menschheit“ und „Die Welt von Gestern“ hervor, sondern auch eine ganze Reihe an weniger bekannten, aber nicht minder lesenswerten Texten. Zwei davon vereint das vorliegende Buch des mir bisher – leider – völlig unbekannten Verlags „Topalian & Milani“ mit Sitz in Ulm.

Von Zweigs Novelle „Buchmendel“ hatte ich bereits gehört, wenngleich ich sie noch nicht gelesen hatte. „Die unsichtbare Sammlung“ hingegen war mir völlig unbekannt – Dank der Zusammenstellung dieser beiden auch thematisch eng verknüpften Novellen konnte ich meinen Zweig’schen Horizont erweitern. Und wie.

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Es gehört Mut dazu, im Jahre 2015 einen reinen Print-Verlag zu gründen, der sich – soweit ich weiß – um eBooks und Co nicht schert und sich ganz, wie auch die Selbstbeschreibung es zeigt, auf die „schönen Bücher“ spezialisiert. Wenn man jedoch Mut aufbringt, so muss man auch ausreichend Mut aufbringen, den Mut ausschöpfen, um die eigene Idee dann auch in Gänze durchzuziehen. Bei den immer mal wieder aufploppen Neuaufgüssen klassischer Texte wählt manch anderer Verlag dann idiotensichere Kassenschlager, und so hätte es mich nicht gewundert, wenn hier schlicht nochmal die „Schachnovelle“ verlegt worden wäre. Nein, es kam anders – und zu der Auswahl der oben genannten Novellen trat zudem noch die Illustration der beiden Texte hinzu. Von zwei verschiedenen Autoren. Wo also anfangen?


Das Buch

Ganz einfach: Vorne. Das heißt auf dem Cover, sowie der Bindung des Buches. Nimmt man es in die Hand, fällt auf, dass hier eine Halbleinenbindung vorliegt, eingefasst in vergleichsweise schwere Pappe. Angenehm. Satz und Schriftbild (aus einer Bodoni) gefallen an sich, wenngleich ich als bekennender Blocksatz-Enthusiast hier ein klein wenig anders entschieden hätte, auch was die Schriftstärke angeht. Aber das ist eine Lappalie, genau wie die Anmerkung, dass auf dem Cover die Reihenfolge „Buchmendel“ und „Die unsichtbare Sammlung“ zu sehen ist, und dass im Buch selbst diese Reihenfolge dann umgekehrt steht. Man sieht schon: Wer solche Details bemängelt, hat sonst nicht viel zu kritteln.


Die Novellen

Was soll man dazu sagen? Zweig in…na ja, vielleicht nicht in Höchstform, okay. Aber in seinem Element: Denn Zweig schreibt hier über Leidenschaft und Kunst – über die Leidenschaft der Kunst, sei es die literarische oder die grafische Kunst. Und er schreibt über die Leidenschaft des Sammelns, sowohl in „Buchmendel“ als auch, oh Wunder, in der „unsichtbaren Sammlung“. Zum Inhalt will ich überhaupt nicht viele Worte verlieren, denn man kriegt ohnehin, was man erwartet: Zwei solide Zweig-Geschichten in seiner gewohnt herausragenden Stilistik, mit wie immer tiefem Gespür für den einzelnen Charakter und dessen Zeit.

„Buchmendel“, eigentlich Jakob Mendel, ist ein alter jüdischer Büchertrödler, der im Wiener Café Gluck Jahr aus, Jahr ein sitzt und seine Bücher an den Mann bringt – und dabei als lebender Vertreter der heutigen Buch-Suchmaschinen wie ZVAB und Co. gelten darf.

Auch in „Die unsichtbare Sammlung“ geht es um ein Unikat: Ein Sammler alter Grafiken erblindet – und wird von seiner Familie aus tiefer Liebe jahrelang in einer Illusion gefangen gehalten.


Die Illustrationen

Ich kannte beide Illustratoren noch nicht, und ich beobachte, kaufe und (ja, manchmal auch das) lese mit Vorliebe illustrierte Werke und würde diese einem nicht-illustrierten Text stets vorziehen.

Florian L. Arnold, auch einer der Verleger selbst, machte sich an „Die unsichtbare Sammlung“ und liefert dazu bewusst groteske Schwarz-Weiß-Variationen eines grafischen Themas, das sich rund um das Sehen und das Auge an sich dreht. Wenngleich ich keinen direkten Zugang zu diesen Bildern gefunden habe, haben sie mich fasziniert – oder gerade deshalb. Arnold löst sich stark vom Text, ja, man muss – bis auf das Augen-Thema – die Textbezüge beizeiten suchen. Das gefällt mir an sich weniger, wie ich bereits in einigen anderen Rezensionen schrieb. Hier aber schadet es nicht, denn genau darum geht es in der Novelle: Ein Blinder sieht nur in seiner Fantasie, sieht nicht das Reale, sondern ein geistiges Abbild, gespeist aus Erinnerungen und eigenen, brüchigen Gedanken. Das hat Arnold treffend visualisiert.

Ebenso stark finde ich die Arbeiten von Joachim Brandenberg, der mit „Tobisch“ auch bereits ein Comic vorgelegt hat, das mir wohl entgangen sein muss. Brandenbergs Illustrationen zu „Buchmendel“ haben genau das, was ich an Buchillustrationen schätze: Sie greifen visuell Details des Textes (und der Ebenen darüber und darunter) auf und machen diese groß, sichtbar. Was einem beim Lesen entgeht, erkennt man dann erstmals in der Bildebene, die das Gelesene ergänzt. Dies gelingt hervorragend, wenn Brandenberg beispielsweise die zerbrochene Brille des Jakob Mendel zeichnet – und den Leser sehen lässt, wie Mendel sich selbst in seiner zerbrochenen Brille spiegelt. Ein Mann, der sein wichtigstes Werkzeug verloren hat, ist ein gebrochener Mann.

Was beiden Illustrationen fehlt: Farbe. Ich wiederhole das immer wieder gerne – die Welt ist bunt, warum sollte man nicht also ein wenig Farbe nutzen? Aber dies nur als Randnotiz von einem, der sich dem Hype um Schwarz-Weiß-Zeichnungen ansonsten verweigert.

Fazit

Der bleibende Wert dieses Buches besteht darin, die beiden so gut zusammen passenden Novellen in dieser hochgradig ansprechenden Form vereint zu haben. Es geht in beiden Novellen des Bücherfreunds und begeisterten Autographensammlers Stefan Zweig um Menschen, die ihre Leidenschaft leben – komme, was wolle. Wer ein wenig von dieser konservierten Leidenschaft der Sammler und Buchmenschen spüren möchte, der lese dieses Buch.

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