Von Jules Verne und Rudyard Kipling – oder wie ich lernte, den Abenteuerroman zu lieben

Ich war ein untypischer Junge: Mit Abenteuerromanen á la „Die Schatzinsel“ konnte ich nichts anfangen und verschmähte sie allesamt. So manifestierte sich in meinem Leseleben eine literarische Bildungslücke, die zu schließen ich vor einiger Zeit begann. Erst widerwillig nahm ich, mehr aus einer gewissen Pflicht zur literarischen Horizonterweiterung heraus, sodann Jule Vernes „Reise um die Erde in 80 Tagen“ zur Hand. Und siehe da: Mir öffnete sich eine neue Welt. Nach mehr abenteuerlichem, klassischem Lesestoff lechzend, folgte sodann Rudyard Kiplings „Über Bord“, das vor Kurzem bei der Büchergilde erschien. Grund genug, einige Zeilen zu dieser bibliophilen Welterschließung zu schreiben.

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Jules Verne – Reise um die Erde in 80 Tagen

Diese Version der Weltreise des unvergleichlichen Phileas Fogg hatte ich, ebenfalls von der Büchergilde, noch in meinem Regal stehen. Mit dem Ziel, mir endlich einmal, mit Ende 20, einen Abenteuerroman vorzuknöpfen, griff ich wahllos zu – und bereute es nicht. Zur Handlung muss ich nichts sagen: Die dürfte mittlerweile, nicht nur durch aberdutzende Buchausgaben, zum narrativen Gemeingut gehören, im Sinne eines klassischen Stoffes, von dem es unzählige Interpretationen, Versionen und Adaptionen gibt.

Das Original, das sich beim Lesen vor mir entfaltete, versprühte jedoch einen Charme, den ich bei wenigen anderen Büchern der selben zeitlichen Epoche bisher entdecken durfte. Verne treibt den Plot mit einer wahrlich abenteuerlichen Geschwindigkeit voran, stets augenzwinkernd, die den Leser ad hoc für sich einnimmt.

Was mich daran fasziniert, ist der gewisse Gentleman-Code, den nicht nur der Protagonist Fogg, sondern nahezu jeder Charakter des Buches stringent einhält. Es ist ein Abenteuer, klar – aber es gibt Regeln, innere wie äußere. Das Buch lebt daher nicht von narrativer Spannung, gespeist von der Sorge um die Charaktere, sondern eher von der Freude daran, zu erfahren, mit welch schelmischem Gleichmut der große Gentleman Fogg das nächste Abenteuer übersteht.

Dass „die Guten“ am Ende die Oberhand gewinnen, dürfte als Motiv jedenfalls des klassischen Abenteuerromans unumstößlich gelten. So bleibt „Reise um die Erde in 80 Tagen“ vorhersehbar, ist aber so charmant, dass man dennoch immer weiterlesen will. Verne sah sich bereits zu Lebzeiten mit dem Vorwurf konfrontiert, er schreibe bewusst leichte Kost und zwar dezidiert massenkompatibel. Und, ja – genau so ist es. Aber auch massenkompatible Literatur kann, zumal von so leichter Hand erzählt, mehr sein als nur Lese-„Zeitvertreib“.

Nicht ganz so harmonisch, wie all das klingt, fügten sich die Illustrationen ein, die diese Büchergilde-Ausgabe mit sich bringt. Sarah Schiffer hat sich an Scherenschnitten versucht – einer Technik, die mir bei der Buchillustration bisher nicht bekannt war und bereits deshalb Beachtung verdient. Leider waren die Schnitte bei weitem nicht so dynamisch, wie es die turbulente Reise von Fogg, Passepartout und Co erfordert hätten.

Alles in Allem jedoch ein bereicherndes Leseerlebnis, das nach Mehr von Verne verlangt.

Rudyard Kipling – Über Bord

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Auf der Suche nach weiterem abenteuerlichem Lesestoff griff ich nach der Verne-Lektüre zu Kiplings „Über Bord“, ebenfalls aus der Büchergilde, ebenfalls ein klassischer Abenteuerroman. Weitaus weniger bekannt als Vernes Meisterwerk, dürfen bei „Über Bord“ ein paar Zeilen zum Inhalt nicht fehlen:

Harvey, reicher Spross aus gutem Hause, fällt bei einer Überfahrt von der US-Ostküste nach Europa über die Reling des Dampfers und wird daraufhin von dem Kapitän eines Kabeljaukutters aufgefischt und wenig später auch in dessen Crew aufgenommen. „Über Bord“ zeichnet den Prozess des Erwachsenwerdens in kondensierter Form inmitten einer Gruppe rauher Seeleute nach. Dabei lebt das Buch von den Kontrasten: Der Milliardärssohn, der sich mit dem bettelarmen Sohn des Kapitäns anfreundet; die schnöselige Sprache des verwöhnten Buben, der auf die von nautischen Begriffen ebenso wie von Flüchen aller Art geprägte Sprache der Fischer trifft.

Anders als bei Verne, findet sich bei Kipling gerade auch in Hinsicht auf die Sprache Literatur von Weltrang. Die Figuren sind fast alle bis ins Detail glaubwürdig und sorgsam ausgearbeitet – mit einer Ausnahme: Der Protagonist selbst, Harvey Cheyne, bleibt vergleichsweise blass. Etwas zu schnell verläuft seine Entwicklung vom „Rich Kid“ zum Kabeljaufischer, etwas zu glatt und passgenau fügt er sich ein. Auch dies mag jedoch der oben vermuteten Grundregel des – nicht zuletzt auch für Kinder geschriebenen – Abenteuerromans entspringen: Das Gute gewinnt, das Abenteuer ist aufregend, aber nicht aufwühlend.

Anders als bei Schiffers Scherenschnitten, passen die Illustrationen von Christian Schneider ganz hervorragend zu dem grafisch adaptierten Stoff. Schneider wählt eine blassgrau-blaue Farbsprache sowie einen hochrealistischen Strich, um die Stimmung, die Kipling aufspannt, einzufangen. Dies gelingt auf ganzer Linie.

Insgesamt ein Start nach Maß in die Welt des Abenteuerromans. Als Nächstes lese ich dann auch, versprochen, Stevensons „Schatzinsel“.