Sonntagslyrik: Du liebe Zeit

 

Du liebe Zeit

Da habe ich einen gehört
wie er seufzte: Du liebe Zeit!

Was heißt da Du liebe Zeit?
Du unliebe Zeit, muss es heißen
Du ungeliebte Zeit!
von dieser Unzeit, in der wir
leben müssen. Und doch
Sie ist unsere einzige Zeit
Unsere Lebenszeit

Und wenn wir das Leben lieben
können wir nicht ganz lieblos
gegen diese unsere Zeit sein.

Wir müssen sie ja nicht genau so
lassen, wie sie uns traf.”

– Erich Fried

Hölle, Hasen, Herzschmerz

“Die Hölle, das sind die anderen”
– Sartre, Geschlossene Gesellschaft

Anlässlich des kürzlich allseits dank Fleurop euphorisch begangenen Valentinstages habe ich zwei frisch bei Reprodukt erschienene Comics gelesen, die beide die vertrackten Untiefen der Liebe auszuloten versuchen. Simpsons-Schöpfer Matt Groening macht sich ebenso Gedanken über das komplizierteste Gefühl des Menschen wie der junge französische Comicautor Bastien Vivés.

Ist Liebe…

Vivés Büchlein mit dem schlichten Titel “Die Liebe” kommt harmlos daher, hat es aber in sich: Selten habe ich ein Buch gelesen, dass sich der Beziehung zwischen Liebenden derart schwarzhumorig nähert.

Vivés spannt in kurzen Episoden einen Bogen über die verschiedensten Themen, die sich um die Liebe ranken: Beispielsweise die wichtige Frage, ob ein Pärchen einen guten Freund bitten kann, mit der Frau in den Swingerclub zu gehen. Oder die Frage, ob nicht die Nutzung eines vorgefertigten Fragebogens beim ersten Date vieles erleichtern würde. Häufig werden die Fragen aufgeworfen, aber nicht beantwortet – was im Ergebnis auch nicht möglich ist, muss doch jeder selbst seine Erfahrungen mit dem absonderlichen Ding namens Liebe machen. Aber: Fragen schaffen Erkenntnis. Bei seiner Analyse, die insgesamt mehr mit Sex als mit Liebe zu tun hat, zeichnet sich Vivés gelegentlich auch selbst in die Panels, beispielswiese im wunderbar pathosüberladenen Gespräch mit seiner Frau. Dadurch entsteht ein Panorama an Kleinstepisoden, die allesamt einen jeweils anderen Aspekt von Liebe, Sex, Beziehung und Vertrauen thematisieren. Dabei nutzt Vivés einen extrem reduzierten Strich und entwirft nur mit wenigen Details wunderbar dynamische Panels.

Das Beste an Vivés lesenswertem Büchlein steht jedoch direkt am Anfang: Die Widmung, die da lautet: “Für die ganzen Frauen, die mich kaputt gemacht und mit meiner Verzweiflung allein gelassen haben, um ein armseliges und belangloses Leben zu führen, das ich mir heute auf ihrem Facebook-Profil ansehen kann.”

…die Hölle?

Ganz anders Groening: Neben ebenfalls einfach gehaltenen, aber sehr viel cartoonhafteren Zeichnungen lebt Groenings “Liebe ist die Hölle” stark vom Text. Dabei müssen die Hasen Binky, Bongo und Sheba, die durch ihre und unser aller persönliche Hölle – den Alltag – wuseln, als Beispiele für keinesfalls funktionierende Liebesbeziehungen jedweder Form herhalten.

Groening spricht den Leser direkt an und gibt Ratschläge, wie man in der Liebeshölle besteht. Dabei werden die Vor- und Nachteile freier Liebe (Vorteil: “Flüchtige Momente der Ekstase”, Nachteil: “Scheußliche Infektionen”) ebenso angesprochen wie die 22 Stadien des gebrochenen Herzens. Groenings Cartoons stammen aus seiner Reihe “Life in Hell”, die er 1978 startete, und bei “Liebe ist die Hölle” handelt es sich um eine themenbezogene Sammlung daraus. Die meisten Cartoons sind von 1982-1984, und wenngleich ein Thema wie die Liebe scheinbar zeitlos ist, merkt man dem Humor ein ganz klein wenig an, dass er etwa 30 Jahre alt ist. Groenings Cartoons nehmen – auf äußerst gelungene Weise – die klassische Ehe aufs Korn. An dieser Stelle geht Vivés weiter, ist im Humor derber und in den Themen expliziter.

Dennoch ist auch Groenings “Liebe ist die Hölle” unbedingt lesenswert. “Kann die Liebe obsiegen?”, fragt Groening. Die Antwort gibt er selbst: “Aber ja. In manchen Werbespots und in gewissen naiven Comics.”

Fazit: Ja!

Wer hier eine ernste Auseinandersetzung mit dem Thema zwischenmenschlicher Liebesbeziehungen erwartet, liegt komplett daneben. Dafür fangen Vivés und Groening beide all die Absonderlichkeiten ein, die dieses große Thema umgeben, spielen mit Klischees und ironisieren sich wunderbar durch Liebe, Sex und Zärtlichkeiten. Dabei wirkt Groening wie das klassische Original, Vivés wie ein modernes Update. Das Rätsel der Liebe können beide nicht lösen. Zum Glück.

Gar nicht so nette Sonette

Verfall

Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.

Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten
Träum ich nach ihren helleren Geschicken
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.

Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,

Indes wie blasser Kinder Todesreigen
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.

1909

So schön kann Melancholie sein.
In Peter Brauns kleiner Literaturgeschichte “Von Taugenichts bis Steppenwolf” habe ich vor einigen Wochen Bekanntschaft mit Georg Trakl gemacht und war fasziniert: Der vor 100 Jahren gestorbene Trakl, der sich im Angesicht der Schlacht von Grodek-Lemberg, wahnsinnig geworden aufgrund der Gräuel des Ersten Weltkriegs, im Drogenrausch das Leben nahm, ist eine tragische Gestalt. Ob seines frühen Drogentodes im Alter von nur 27 Jahren als Insasse einer Nervenheilanstalt gehört Trakl genau wie Hendrix und Cobain zum Club 27, hat sich zwar ähnlicher Drogen, jedoch eines völlig anderen Mediums bedient, um seine Kunst auszuleben: Gedichte waren Trakls Leben, in ihnen verarbeitete er zugleich das Vorgefühl des eigenen Sterbens.

Achtzig Gedichte” von Georg Trakl erschienen 2011 in der von mir geschätzten Textura-Reihe von C.H. Beck.

Es empfiehlt sich, das ungemein erhellende “einführende Nachwort” von Gunther Kleefeld zuerst zu lesen. Kleefeld leistet eine prägnante Einführung in Leben, Schreiben und Sterben Trakls, wobei er die These aufstellt, dass die expressionistische Dichtung Trakls weniger in rationaler Form dem Verstande zugänglich, als vielmehr einem Gesang, einer lyrischen Musik gleich emotional aufgenommen werden sollte.

Kleefeld scheint Recht zu haben: Auch meiner Meinung nach ist Trakls Dichtung von einer besondere Sprachmelodie durchzogen, einer Melodie in Moll. Trakl, der schon in frühster Jugend mit harten Drogen in Kontakt kam und Zeit seines Lebens eine erotische Beziehung zu seiner Schwester pflegte, sah die Welt in dämmernden Blautönen, noch nicht apokalyptisch, aber doch dem allseitigen Verfall nahe. Trakls Dichtung handelt von Umbrüchen, von drohenden Veränderungen zum Schlechten: Sein Thema ist der Herbst, die Zeit des Jahres, in der sich der lichtdurchflutete Sommer dem grauen, kalten Winter zuneigt. Dabei wählt er zumeist (aber nicht nur) die Form des Sonetts, um seine düstere Melancholie zu entwickeln. Hoffnung scheint bei Trakl, zumindest kommt mir dies nach der Lektüre der achtzig Gedichte so vor, so gut wie niemals durch, allerdings ist der pessimistische Grundton von Trakls Lyrik häufig von einer stoischen Melancholie durchzogen, einer Art “Was soll’s, so ist es halt” im Dämmerlicht.

Afra

Ein Kind mit braunem Haar. Gebet und Amen
Verdunkeln still die abendliche Kühle
Und Afras Lächeln rot in gelbem Rahmen
Von Sonnenblumen, Angst und grauer Schwüle.

Gehüllt in blauen Mantel sah vor Zeiten
Der Mönch sie fromm gemalt an Kirchenfenstern;
Das will in Schmerzen freundlich noch geleiten,
Wenn ihre Sterne durch sein Blut gespenstern.

Herbstuntergang; und des Hollunders Schweigen.
Die Stirne rührt des Wassers blaue Regung,
Ein härnes Tuch gelegt auf eine Bahre.

Verfaulte Früchte fallen von den Zweigen;
Unsäglich ist der Vögel Flug, Begegnung
Mit Sterbenden; dem folgen dunkle Jahre.

1913

Das wird nicht jedermanns Sache sein. Wer Lautes, Schrilles, Buntes mag, der lese Stephenie Meyer oder schalte gleich das Dschungelcamp ein. Wer jedoch der Schönheit der Melancholie beizeiten nicht abgeneigt ist, dem sei Trakl, dem seien besonders seine Sonette ans Herz gelegt.

Schöner Nebeneffekt: Egal wie schlecht es einem geht, Trakls Hundeleben war schlimmer. Das ist doch auch was.