Rezension: “Der spazierende Mann”

Im Zen-Buddhismus heißt die Meditation im Gehen “Kinhin”. Ob der namenlose Protagonist des 1992 erstmals erschienenen Mangas “Der spazierende Mann” von Jiro Taniguchi tatsächlich Gehmeditation betreibt, vermag ich nicht zu sagen. Fest steht jedoch, dass der Spazierende die zweite Bedeutung von “Kinhin” umsetzt: Gehen in Achtsamkeit, bewusst die Umgebung wahrnehmend.

spazierender mann

Über Jiro Taniguchi sprach ich bereits kurz im letzten Eintrag. Der Vertreter der japanischen Gekiga-Tradition, also der “anspruchsvollen Mangas für Erwachsene”gilt als Europäer unter den japanischen Comickünstlern. Erstmals kam ich mit seinem Werk durch die SZ-Graphic-Novel-Edition Nummer 1 in Kontakt. In jener Edition erschien Taniguchis “Vertraute Fremde”, was ich jedem nur empfehlen kann, auch denjenigen, die sonst die Finger von Mangas lassen.

Vorweg: Der spazierende Mann ist ein fulminantes Buch, das man mehrmals lesen sollte, um den meditativen Sog wirklich zu spüren, den dieses Werk entwickeln kann, wenn man sich darauf einlässt. Eine Geschichte im narrativen Sinne weist dieses Comic jedoch nur in Ansätzen auf. Aber darum geht es nicht. Es geht nicht um eine Abfolge von Momenten, die zusammengenommen eine Geschichte ergäben. Es geht um den Augenblick an sich. Und diesen sucht und findet der Namenlose, der durch seinen Wohnort spaziert sich dabei an den kleinen Dingen des Lebens erfreut. Ich war zuerst skeptisch, was dieses scheinbar einfache Grundsetting angeht, bin ich doch ein Freund von guten, spannenden Erzählungen, die mich überraschen. “Der spazierende Mann” ist eine gute Erzählung. Und dabei ganz bewusst nicht spannend, ganz bewusst ohne groß angelegte Geschichte.

Der grafische Stil Taniguchis ist etwas Einzigartiges, dem man mit der Beschreibung als “Manga-ligné-claire” wohl am nächsten kommt. Mir gefällt an den detailreichen Hintergrundzeichnungen vor allem, dass man ein Gespür für das Alltagsleben in Japan bekommt.

Leider muss ich auch auf einen einzigen Negativpunkt hinweisen, der wohl der Übersetzung geschuldet ist. Soundwords funktionieren meiner Meinung nach nur als Onomatopoeia. Ein Soundword, das das Geräusch des Nickens einer Frau mit den Worten “nick nick” darstellt, geht fehl. Diese etwas ärgerliche Nutzung nicht-onomatopoetischer Soundwords findet sich leider an mehreren Stellen im Buch. Aber das ist eine Kleinigkeit.

“Der spazierende Mann” hat mir außerordentlich gut gefallen. Dabei ist das Buch zudem in der Tat weihnachtlich: Das Innehalten, das Betrachten des Alltäglichen, ohne gehetzt zu werden. Dieses Comic strahlt Ruhe aus. Jedem Bücherfreund kann ich es nur wärmstens ans Herz legen.

Jiro Taniguchi
”Der spazierende Mann”
Carlsen Comics, Hamburg 2012
978-3-551-778796

Wilsberg-Comic: “In alter Freundschaft”

Wilsberg ist Kult. Der sympathisch-heruntergekommene münsteraner Privatdetektiv aus der Feder von Jürgen Kehrer ermittelte bereits in 18 Kriminalromanen und über 30 Fernsehfilmen. Nun also ein Wilsberg-Comic. Grund genug für mich, das einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

wilsberg

Mit “WILSBERG – In alter Freundschaft” legt Jörg Hartmann seine erste Arbeit als Zeichner und Szenarist vor, auch Jürgen Kehrer arbeitet erstmals an einem Comic mit. Die Geschichte spannt einen weiten Bogen, von einer unerwiderten Jugendliebe, Mord, Kinderpornos bis hin zum Amsterdamer Nachtleben. Dabei machen die Zeichnungen stets eine hervorragende Figur. Ganz besonders zu loben sind die Farben: Meiner Meinung nach gehört Hartmann zu einem der stärksten Koloristen (nicht nur) der Comicbranche. Sein Blick für Licht und Schatten und für Stimmungen, sei es innerhalb von Gebäuden oder an der freuen Natur, ist bemerkenswert. Hartmanns Geschick in dieser Hinsicht konnte man bisher auch bei der Illustration der deutschsprachigen Cover des von mir hoch geschätzten Jiro Taniguchi bestaunen.

Kehrers Text ist solide, die Dialoge stark. Als Szenarist ist Hartmann bisher nicht in Erscheinung getreten, ist er doch – wie er im Nachwort des Wilsberg-Bandes sagt – kein klassischer Comicexperte. Diese leichten Schwächen im Erzählerischen merkt man dem Comic an. Für meine Begriffe ist die Geschichte etwas zu sprunghaft, die Übergänge zwischen Seiten und Panels sind – ohne Not oder greifbaren Sinn – zu abrupt. Der Induktion wird Raum gelassen, hier jedoch zu viel Raum.

Fazit: Für Wilsberg-Fans ein Muss. Auch für diejenigen darunter, die bisher einen Bogen um Comics gemacht haben. Aufgrund der vielen tollen Stadtansichten von Münster, die wirklich teils außerordentlich gut gelungen sind, ist dieses Comic auch ein Leckerbissen für Münsteraner. Darauf beschränkt es sich jedoch.

Vielleicht wird der angekündigte zweite Wilsberg-Comic auch erzählerisch stärker – zulegen werde ich mir den zweiten Band auf jeden Fall.

Jörg Hartmann, Jürgen Kehrer
WILSBERG – In alter Freundschaft
Carlsen Comics, Hamburg 2012
978-3-551-78699-9