Luke Pearson – Was du nicht siehst

Man sieht nur mit dem Auge gut, ganz frei nach Herrn Saint-Exupéry, aber Vieles bleibt ungesehen. Was entgeht unserem Blickwinkel, was übersehen wir, und, vor allem: Was würde sich ändern, könnten wir unseren Blick schärfen, unsere Perspektive wechseln?

Dies sind die Themen, denen sich Luke Pearson in seinem neuen Comic “Was du nicht siehst” widmet, auf deutsch vor kurzem bei Reprodukt erschienen.

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Subtil, subtiler, Guterson: Der Kurzgeschichtenband “Zwischen Menschen”

1994 wurde der US-amerikanische Schriftsteller David Guterson mit “Schnee, der auf Zedern fällt” schlagartig berühmt. Zwanzig Jahre, viele Veröffentlichungen und Auszeichnungen später legt Guterson mit “Zwischen Menschen” eine Sammlung seiner Kurzprosa vor, die auf deutsch bei Hoffman und Campe erscheint.

Auf einer Zugfahrt habe ich einen verstohlenen Blick auf die Feuilletonseite, die die Dame neben mir las, geworfen. Dort wurde Gutersons “Zwischen Menschen” hochgelobt, also dachte ich mir, dass es die Lektüre wert sei. Die Besprechung von Gutersons Werk ist jedoch nicht ganz einfach – denn der Autor aus Seattle ist fast nicht zu (be)greifen.

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Probleme mit Menschen

“Problems with People” – so heißt der Kurzprosaband im amerikanischen Original. “Erzählungen” heißt der deutsche Untertitel. Es handelt sich also um kurze Erzählungen, in denen es um zwischenmenschlichen Probleme geht. Soweit die Ausgangslage, dachte ich mir beim erstmaligen Öffnen des Buches und beim Lesen der ersten Seiten. Die Geschichten tragen Namen wie “Paradise”, “Thermalquelle”, “Feedback” und “Krasawize”. Leider sind die Plots, die Guterson wählt, weniger abwechslungsreich als die Titel es andeuten.

“Mieterin” heißt die erste Geschichte, die von einem Vermieter handelt, der eine seiner Wohnungen an eine neue, junge Frau vermietet, die sein Interesse weckt. Er möchte eine zwischenmenschliche Beziehung zu dieser Frau herstellen – irgendeine Form der Beziehung –  scheitert aber an Angst, Anpassung und übersteigertem Sicherheitsdenken. Die erste Geschichte ist meiner Meinung nach direkt die stärkste Geschichte des gesamten Bandes: Hier hält Guterson alles, was er verspricht. Zwei Menschen, die äußerst unterschiedlich sind und doch miteinander zu tun haben (müssen), finden nicht zueinander. Das reicht schon für einen Roman; im Alltag findet sich alles, was große Geschichten ausmachen. Guterson würzt “Mieterin” dabei zusätzlich mit einer sanften Prise Humor, der aus dem Umstand entsteht, dass der Protagonist sich selbst permanent an die Kette legt. Die Lektüre hat mir ausgesprochen gut gefallen.

Subtil und glatt

Leider hält Guterson das Niveau nicht durch, wenngleich – das gilt es herauszustellen – keine der Erzählungen wirklich schlecht ist. Nur leider vermochte es jedoch keine der anderen Geschichten, mich nachhaltig zu packen.

Guterson versucht, auf psychologischer Ebene auszuloten, wie verworrene und zum Scheitern verurteilte Beziehungen zwischen Menschen funktionieren. Dieses Anliegen ist aller Ehren wert. Jedoch versäumt Guterson, die Konfliktlagen, die er webt, auszureizen. Er zeichnet ganz bewusst subtile und effektfreie Alltagssituationen auf, wohl um darzustellen, wie die menschliche Psychologie bewusst oder unbewusst auch im Kleinen wirkt. Dabei schrammt Guterson auf der Suche nach psychologischer Subtilität jedoch häufig haarscharf an der Langeweile vorbei. In einer Geschichte geht es um einen Chirurgen, der in Nepal seine im Krankenhaus liegende Exfrau aufsucht und in der Kommunikation mit ihr scheitert, da die Verletzte einschläft. Vorher trifft der Chirurg einen Straßenjungen, der ihn um Geld anfleht. Das ist die gesamte Geschichte. Man könnte etwas Großes daraus machen – vielleicht sogar mit einer Pointe am Ende. Bei Guterson bleibt hier nur ein Mann, mit dem man etwas Mitleid hat, das sich jedoch verflüchtigt, wenn man bemerkt, dass dieser Mann selbst kein Mitleid mit dem Straßenjungen und auch nicht mit der verletzten Exfrau hat. Es gibt keinen präsenten Konflikt, keine Pole, zwischen denen eine psychologische Spannung erzeugt werden könnte. Oder eben nur so wenig, dass fraglich ist, ob die Lektüre lohnt.

Was von alldem bleibt

Lichtblicke gibt es da, wo Guterson jüdische Lebens- und Gedankenwelten aufzeigt. Das fand ich persönlich hochinteressant, sodass “Krasawize” – die Geschichte eines alten jüdischen Amerikaners, der mit seinem Sohn eine Tour durch Berlin macht – für mich die zweitbeste Erzählung des Bandes ist.

Viele Geschichten von Guterson spielen jedoch im immer gleichen Milieu: Es geht fast nur um Akademiker und deren Alltagsprobleme. So gut wie alle Protagonisten haben studiert, häufig arbeiten sie als Dozent an der Universität oder am College, sind Ärzte oder, in gleich vier von zehn Geschichten, Juristen. Keine der guterson’schen Hauptpersonen hat existenzielle Probleme – schon gar nicht ökonomisch. Guterson will die Problems with People ausloten, beschränkt sich aber auf eine bestimmte Gruppe.

Das ist genug für einige ausgesprochen ruhige Lesestunden. Für eine Lektüre, die zum Denken anregt, die ein wenig wachrüttelt und fesselt, ist das zu wenig.

Alex Quick: 99 Gratisideen für ein besseres Leben

Im Frühjahr 2014 ist der Atlantik-Verlag in See gestochen. Das im maritimen Setting gehaltene Imprint von Hoffman und Campe schaffte es sogleich, die Herzen vieler Buchblogger mit einem kleinen Kennenlernpaket zu erfreuen:

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Die Jungfernfahrt eines neuen Verlags (belassen wir es mal bei der Illusion, es handele sich um einen eigenen Verlag) zu beobachten, ist spannend. Das Wichtigste dabei ist natürlich das Programm, mit dem der Neuling der Buchbranche in den Kampf zieht. Also schnappte ich mir sogleich den Atlantik-Katalog, denn mir war schnell klar, dass ich zum Start ein Buch besprechen wollte.

Meine Wahl fiel auf Alex Quicks “99 Gratisideen für ein besseres Leben. Vorweg: Ich gehöre nicht, wie viele andere, zu den Ratgeber-Hassern. Es gibt unter der sogenannten Ratgeberliteratur viel Schund, viel seichte oder weniger seichte Küchenpsychologie á la “Wenn Sie unsere einzigartige Denkmethode konsequent einhalten, wird sich Ihr Leben schlagartig komplett verändern”. Es gibt aber auch eine große Zahl an seriösen Sachbüchern, die für bestimmte Themen sensibilisieren und das Leben bereichern. Der Nachteil dieser Bücher ist häufig die schwere Lesbarkeit oder die gähnende Langeweile, die mit der Nacherzählung der 27. psychologischen Studie einhergeht.

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Quicks Werk gehört zu keiner der beiden Kategorien. Schlicht und einfach zählt Quick 99 Möglichkeiten auf, das Leben zu genießen. Dabei wählt er – teils mehr, teils weniger konsequent – vor allem Tätigkeiten, die sofort von jedermann umgesetzt werden können und dazu nichts kosten. Beispiele: “Schauen Sie nach den Sternen!” oder “Schreiben Sie einen Brief an Ihr künftiges Ich!” Das mag trivial klingen. Aber die Wahrheit ist, dass die einfachen, die schönen, die sinnstiftenden Dinge im Leben häufig trivial sind.

Quick verbindet jeden Vorschlag zur simplen Lebensqualitätssteigerung mit einem kurzen erklärenden Text. Dabei werden die Vorschläge immer komplexer und psychologisch durchdachter: Während der erste Vorschlag auf das Sterne-Gucken zielt, empfiehlt Quick später, die Exzentriker des eigenen Wohnviertels zu unterstützen oder Unvollkommenheit und Vergänglichkeit als Ausdruck von Schönheit zu betrachten. Quick geht damit auf leichtfüßige Art ans Eingemachte. Er schafft es, Inhalte und Weisheiten fernöstlicher Denkschulen (“Akzeptieren Sie die ganze Katastrophe”) mit philosophischen Ideen (“Leben Sie die Abgeschiedenheit”) zu verbinden. Dabei erhebt Quick niemals den Zeigefinger, bleibt im sprachlichen Ton immer freundlich-zurückhaltend anstatt oberlehrerhaft. Im Ergebnis stört dann auch überhaupt nicht, dass nicht alle Vorschläge völlig gratis sind. Lohnen werden sie sich allemal.

Meine Lieblingsideen?
”Führen Sie ein Tagebuch – mit nur einem Satz pro Tag!”
”Zeigen Sie aufrichtige Dankbarkeit!”
”Halten Sie die Augen offen, und machen Sie mit!”

Quick erinnert an das, was häufig in Vergessenheit gerät. Das kleine Büchlein liest man mit einem Lächeln an einem Abend durch. Garantiert mit Gewinn: Quicks “99 Ideen” sind ein Kleinod der Lebensfreude.