Subtil, subtiler, Guterson: Der Kurzgeschichtenband “Zwischen Menschen”

1994 wurde der US-amerikanische Schriftsteller David Guterson mit “Schnee, der auf Zedern fällt” schlagartig berühmt. Zwanzig Jahre, viele Veröffentlichungen und Auszeichnungen später legt Guterson mit “Zwischen Menschen” eine Sammlung seiner Kurzprosa vor, die auf deutsch bei Hoffman und Campe erscheint.

Auf einer Zugfahrt habe ich einen verstohlenen Blick auf die Feuilletonseite, die die Dame neben mir las, geworfen. Dort wurde Gutersons “Zwischen Menschen” hochgelobt, also dachte ich mir, dass es die Lektüre wert sei. Die Besprechung von Gutersons Werk ist jedoch nicht ganz einfach – denn der Autor aus Seattle ist fast nicht zu (be)greifen.

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Probleme mit Menschen

“Problems with People” – so heißt der Kurzprosaband im amerikanischen Original. “Erzählungen” heißt der deutsche Untertitel. Es handelt sich also um kurze Erzählungen, in denen es um zwischenmenschlichen Probleme geht. Soweit die Ausgangslage, dachte ich mir beim erstmaligen Öffnen des Buches und beim Lesen der ersten Seiten. Die Geschichten tragen Namen wie “Paradise”, “Thermalquelle”, “Feedback” und “Krasawize”. Leider sind die Plots, die Guterson wählt, weniger abwechslungsreich als die Titel es andeuten.

“Mieterin” heißt die erste Geschichte, die von einem Vermieter handelt, der eine seiner Wohnungen an eine neue, junge Frau vermietet, die sein Interesse weckt. Er möchte eine zwischenmenschliche Beziehung zu dieser Frau herstellen – irgendeine Form der Beziehung –  scheitert aber an Angst, Anpassung und übersteigertem Sicherheitsdenken. Die erste Geschichte ist meiner Meinung nach direkt die stärkste Geschichte des gesamten Bandes: Hier hält Guterson alles, was er verspricht. Zwei Menschen, die äußerst unterschiedlich sind und doch miteinander zu tun haben (müssen), finden nicht zueinander. Das reicht schon für einen Roman; im Alltag findet sich alles, was große Geschichten ausmachen. Guterson würzt “Mieterin” dabei zusätzlich mit einer sanften Prise Humor, der aus dem Umstand entsteht, dass der Protagonist sich selbst permanent an die Kette legt. Die Lektüre hat mir ausgesprochen gut gefallen.

Subtil und glatt

Leider hält Guterson das Niveau nicht durch, wenngleich – das gilt es herauszustellen – keine der Erzählungen wirklich schlecht ist. Nur leider vermochte es jedoch keine der anderen Geschichten, mich nachhaltig zu packen.

Guterson versucht, auf psychologischer Ebene auszuloten, wie verworrene und zum Scheitern verurteilte Beziehungen zwischen Menschen funktionieren. Dieses Anliegen ist aller Ehren wert. Jedoch versäumt Guterson, die Konfliktlagen, die er webt, auszureizen. Er zeichnet ganz bewusst subtile und effektfreie Alltagssituationen auf, wohl um darzustellen, wie die menschliche Psychologie bewusst oder unbewusst auch im Kleinen wirkt. Dabei schrammt Guterson auf der Suche nach psychologischer Subtilität jedoch häufig haarscharf an der Langeweile vorbei. In einer Geschichte geht es um einen Chirurgen, der in Nepal seine im Krankenhaus liegende Exfrau aufsucht und in der Kommunikation mit ihr scheitert, da die Verletzte einschläft. Vorher trifft der Chirurg einen Straßenjungen, der ihn um Geld anfleht. Das ist die gesamte Geschichte. Man könnte etwas Großes daraus machen – vielleicht sogar mit einer Pointe am Ende. Bei Guterson bleibt hier nur ein Mann, mit dem man etwas Mitleid hat, das sich jedoch verflüchtigt, wenn man bemerkt, dass dieser Mann selbst kein Mitleid mit dem Straßenjungen und auch nicht mit der verletzten Exfrau hat. Es gibt keinen präsenten Konflikt, keine Pole, zwischen denen eine psychologische Spannung erzeugt werden könnte. Oder eben nur so wenig, dass fraglich ist, ob die Lektüre lohnt.

Was von alldem bleibt

Lichtblicke gibt es da, wo Guterson jüdische Lebens- und Gedankenwelten aufzeigt. Das fand ich persönlich hochinteressant, sodass “Krasawize” – die Geschichte eines alten jüdischen Amerikaners, der mit seinem Sohn eine Tour durch Berlin macht – für mich die zweitbeste Erzählung des Bandes ist.

Viele Geschichten von Guterson spielen jedoch im immer gleichen Milieu: Es geht fast nur um Akademiker und deren Alltagsprobleme. So gut wie alle Protagonisten haben studiert, häufig arbeiten sie als Dozent an der Universität oder am College, sind Ärzte oder, in gleich vier von zehn Geschichten, Juristen. Keine der guterson’schen Hauptpersonen hat existenzielle Probleme – schon gar nicht ökonomisch. Guterson will die Problems with People ausloten, beschränkt sich aber auf eine bestimmte Gruppe.

Das ist genug für einige ausgesprochen ruhige Lesestunden. Für eine Lektüre, die zum Denken anregt, die ein wenig wachrüttelt und fesselt, ist das zu wenig.

Alex Quick: 99 Gratisideen für ein besseres Leben

Im Frühjahr 2014 ist der Atlantik-Verlag in See gestochen. Das im maritimen Setting gehaltene Imprint von Hoffman und Campe schaffte es sogleich, die Herzen vieler Buchblogger mit einem kleinen Kennenlernpaket zu erfreuen:

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Die Jungfernfahrt eines neuen Verlags (belassen wir es mal bei der Illusion, es handele sich um einen eigenen Verlag) zu beobachten, ist spannend. Das Wichtigste dabei ist natürlich das Programm, mit dem der Neuling der Buchbranche in den Kampf zieht. Also schnappte ich mir sogleich den Atlantik-Katalog, denn mir war schnell klar, dass ich zum Start ein Buch besprechen wollte.

Meine Wahl fiel auf Alex Quicks “99 Gratisideen für ein besseres Leben. Vorweg: Ich gehöre nicht, wie viele andere, zu den Ratgeber-Hassern. Es gibt unter der sogenannten Ratgeberliteratur viel Schund, viel seichte oder weniger seichte Küchenpsychologie á la “Wenn Sie unsere einzigartige Denkmethode konsequent einhalten, wird sich Ihr Leben schlagartig komplett verändern”. Es gibt aber auch eine große Zahl an seriösen Sachbüchern, die für bestimmte Themen sensibilisieren und das Leben bereichern. Der Nachteil dieser Bücher ist häufig die schwere Lesbarkeit oder die gähnende Langeweile, die mit der Nacherzählung der 27. psychologischen Studie einhergeht.

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Quicks Werk gehört zu keiner der beiden Kategorien. Schlicht und einfach zählt Quick 99 Möglichkeiten auf, das Leben zu genießen. Dabei wählt er – teils mehr, teils weniger konsequent – vor allem Tätigkeiten, die sofort von jedermann umgesetzt werden können und dazu nichts kosten. Beispiele: “Schauen Sie nach den Sternen!” oder “Schreiben Sie einen Brief an Ihr künftiges Ich!” Das mag trivial klingen. Aber die Wahrheit ist, dass die einfachen, die schönen, die sinnstiftenden Dinge im Leben häufig trivial sind.

Quick verbindet jeden Vorschlag zur simplen Lebensqualitätssteigerung mit einem kurzen erklärenden Text. Dabei werden die Vorschläge immer komplexer und psychologisch durchdachter: Während der erste Vorschlag auf das Sterne-Gucken zielt, empfiehlt Quick später, die Exzentriker des eigenen Wohnviertels zu unterstützen oder Unvollkommenheit und Vergänglichkeit als Ausdruck von Schönheit zu betrachten. Quick geht damit auf leichtfüßige Art ans Eingemachte. Er schafft es, Inhalte und Weisheiten fernöstlicher Denkschulen (“Akzeptieren Sie die ganze Katastrophe”) mit philosophischen Ideen (“Leben Sie die Abgeschiedenheit”) zu verbinden. Dabei erhebt Quick niemals den Zeigefinger, bleibt im sprachlichen Ton immer freundlich-zurückhaltend anstatt oberlehrerhaft. Im Ergebnis stört dann auch überhaupt nicht, dass nicht alle Vorschläge völlig gratis sind. Lohnen werden sie sich allemal.

Meine Lieblingsideen?
”Führen Sie ein Tagebuch – mit nur einem Satz pro Tag!”
”Zeigen Sie aufrichtige Dankbarkeit!”
”Halten Sie die Augen offen, und machen Sie mit!”

Quick erinnert an das, was häufig in Vergessenheit gerät. Das kleine Büchlein liest man mit einem Lächeln an einem Abend durch. Garantiert mit Gewinn: Quicks “99 Ideen” sind ein Kleinod der Lebensfreude.

Wie ich ein eBook las und überlebte

“Oh, alles ist neu. Alles ist anders. Meine Kleider gefallen mir nicht mehr. Ich kenne diesen Geschmack im Mund und ich weiß nicht mehr woher. Und es wird mir klar und ich glaube sogar. Oh, ich glaube ich habe, ich glaube ich habe meine Unschuld verloren. Oooooh.”
Tocotronic: Ich Glaube Ich Habe Meine Unschuld Verloren

Ich habe es getan, allen bibliophilen Treueschwüren zum Trotz: Gestern lud ich mir eine ePub-Datei aufs iPad und las. Und las. Erstmals kam ich über die ersten 3-4 Seiten hinaus. Es ist geschehen. Ich habe ein eBook gelesen, sogar in einem Rutsch durchgelesen. Dabei handelte es sich um Doris Lessings jüngst verfilmte Erzählung “Tage am Strand, die ich im Rahmen eines Buch-und-Film-Vergleichs für Hoffman und Campe rezensieren werde. Das Buch hat mir inhaltlich durchaus gefallen, doch darum soll es hier nicht gehen. Ich möchte vielmehr berichten, was ich bei meinem Ersten Mal empfand. Ich möchte darstellen, warum ich es tat und wie ich es überlebte.

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Nervös wie eine Jungfrau öffnete ich meine, wie oben zu sehen, prall gefüllte eBook-Bibliothek (oder, wie es auf Neusprech heißt, die “Library”) und betrachtete das Cover. Leider habe ich kein Retina-Display, aber das geht auf meine Kappe. Die ersten Seiten lasen sich recht flott, und nach kurzer Zeit spielte ich ein wenig mit den Einstellungen rum, stellte die Hintergrundfarbe auf Sepia und veränderte die Helligkeit. Dann las ich weiter und spielte wieder an den Einstellungen rum. So vergingen die Seiten, mal mit umgekehrten Farben (weiß auf schwarzem Grund, epic fail, wie es auf Neusprech heißt), mal mit, mal ohne Sepia. Diese Spielerei hat, ja, genau gar nichts gebracht, außer mich abzulenken. Abzulenken vom eigentlichen Text. Aber gut, vielleicht sind das nur Kinderkrankheiten des Anfänger-eBook-Lesers, vielleicht tritt dieses Spielen an den Einstellungen des Readers nur beim ersten Mal auf. Möglich.

Die Erzählung hatte, zumindest mit meiner Einstellung (ich mag die Schrift etwas größer) 101 Seiten. Ein klein wenig sauer stieß mir der Umstand auf, dass ich nicht wusste, wie viele Seiten die Erzählung wirklich hat – ich konnte durch das Ändern der Schriftgröße und Schriftart (natürlich musste eine mit Serifen her, Arial und Co up my ass) die Seitenzahl beliebig ändern. Natürlich hängt die Seitenzahl auch bei #echtenBüchern von dem Druck, dem Satz, Schriftart und –größe und anderen Faktoren ab. Aber: Es ist dennoch statischer. Joyces Ulysses hat, gedruckt, fast immer roundabout 1000 Seiten. Daran kann man sich orientieren. Damit kann man auch wunderbar angeben. Ein eBook ist da so flatterhaft wie das leichte Mädchen unter der Laterne, ich kann bis jetzt nicht sagen, wie viele Seiten “Tage am Strand” denn nun hat. Einschätzen kann ich es nicht – es können 40 oder auch 70 sein. Nun, aber das ist Jammern auf hohem Niveau, bibliophiles Genörgel am Bücher-Hochreck.

Ich las weiter. Etwa auf Seite 70 von 101 Spürte ich die Schwere des iPads. Es drückte in meine Handinnenfläche, was aufgrund eines bei mir nahenden Karpaltunnelsyndroms (leckere Juristenkrankheit) recht unangenehm war. Aber auch das mag auf dem iPad mini oder einem dieser anderen Toli-irgendwas, Huxlipux-Reader von Weltbild oder Aldi oder whatsoever anders sein. Ich empfand es jedenfalls als sehr störend. Eine knackige, kurze Sammlung von Lessings Erzählungen wäre weitaus leichter gewesen. Aber okay, das ist readerabhängig.

Die Seiten flossen dahin, und das Erste, das mir positiv auffiel, so etwa auf Seite 90, war die Möglichkeit, super schnell durch die Seiten zu “blättern”. Ich tippte und wischte was das Zeug hielt. Das ging wirklich flott, ein Zurückspringen auf Seite x war sehr einfach, und als mir dann die Markierungs-Funktion auffiel, beschlich ein Lächeln meine Lippen. Okay, stattgegeben: Die eingebaute Farbmarker-Möglichkeit ist stark. Da kann man nicht so viel gegen sagen.

Nach etwa anderthalb Stunden war ich auf Seite 101 angekommen, final entjungfert, das erste eBook gelesen. Phew. Ich musste erstmal durchatmen und…nein, ich habe keine Zigarette geraucht.

Und gut war es auch nicht (den Inhalt, wie gesagt, außer Acht gelassen). Letztlich ist es eine Gefühlsfrage. Die Markerfunktion hin oder her, ich nehme doch lieber einen Bleistift zur Hand. Das Schnell-Durch-Die-Seiten-Flippen ist ein flippiges Gimmick. Am Ende muss es natürlich jeder selbst wissen, aber: Ein eBook zu lesen fühlte sich für mich in etwa so an, als stellte man sich einen künstlichen Plastik-Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer. Oder als mache man per SMS Schluss. Oder als lese man Richard David Precht. Oder als esse man Kühltruhen-Sushi vom Plastikteller. Es wirkte nicht echt. Die Atmosphäre stimmte nicht.

Ich kann mir nicht helfen, aber dieses Erste Mal ging gründlich in die Hose.