Wie ich ein eBook las und überlebte

“Oh, alles ist neu. Alles ist anders. Meine Kleider gefallen mir nicht mehr. Ich kenne diesen Geschmack im Mund und ich weiß nicht mehr woher. Und es wird mir klar und ich glaube sogar. Oh, ich glaube ich habe, ich glaube ich habe meine Unschuld verloren. Oooooh.”
Tocotronic: Ich Glaube Ich Habe Meine Unschuld Verloren

Ich habe es getan, allen bibliophilen Treueschwüren zum Trotz: Gestern lud ich mir eine ePub-Datei aufs iPad und las. Und las. Erstmals kam ich über die ersten 3-4 Seiten hinaus. Es ist geschehen. Ich habe ein eBook gelesen, sogar in einem Rutsch durchgelesen. Dabei handelte es sich um Doris Lessings jüngst verfilmte Erzählung “Tage am Strand, die ich im Rahmen eines Buch-und-Film-Vergleichs für Hoffman und Campe rezensieren werde. Das Buch hat mir inhaltlich durchaus gefallen, doch darum soll es hier nicht gehen. Ich möchte vielmehr berichten, was ich bei meinem Ersten Mal empfand. Ich möchte darstellen, warum ich es tat und wie ich es überlebte.

iPadBib

Nervös wie eine Jungfrau öffnete ich meine, wie oben zu sehen, prall gefüllte eBook-Bibliothek (oder, wie es auf Neusprech heißt, die “Library”) und betrachtete das Cover. Leider habe ich kein Retina-Display, aber das geht auf meine Kappe. Die ersten Seiten lasen sich recht flott, und nach kurzer Zeit spielte ich ein wenig mit den Einstellungen rum, stellte die Hintergrundfarbe auf Sepia und veränderte die Helligkeit. Dann las ich weiter und spielte wieder an den Einstellungen rum. So vergingen die Seiten, mal mit umgekehrten Farben (weiß auf schwarzem Grund, epic fail, wie es auf Neusprech heißt), mal mit, mal ohne Sepia. Diese Spielerei hat, ja, genau gar nichts gebracht, außer mich abzulenken. Abzulenken vom eigentlichen Text. Aber gut, vielleicht sind das nur Kinderkrankheiten des Anfänger-eBook-Lesers, vielleicht tritt dieses Spielen an den Einstellungen des Readers nur beim ersten Mal auf. Möglich.

Die Erzählung hatte, zumindest mit meiner Einstellung (ich mag die Schrift etwas größer) 101 Seiten. Ein klein wenig sauer stieß mir der Umstand auf, dass ich nicht wusste, wie viele Seiten die Erzählung wirklich hat – ich konnte durch das Ändern der Schriftgröße und Schriftart (natürlich musste eine mit Serifen her, Arial und Co up my ass) die Seitenzahl beliebig ändern. Natürlich hängt die Seitenzahl auch bei #echtenBüchern von dem Druck, dem Satz, Schriftart und –größe und anderen Faktoren ab. Aber: Es ist dennoch statischer. Joyces Ulysses hat, gedruckt, fast immer roundabout 1000 Seiten. Daran kann man sich orientieren. Damit kann man auch wunderbar angeben. Ein eBook ist da so flatterhaft wie das leichte Mädchen unter der Laterne, ich kann bis jetzt nicht sagen, wie viele Seiten “Tage am Strand” denn nun hat. Einschätzen kann ich es nicht – es können 40 oder auch 70 sein. Nun, aber das ist Jammern auf hohem Niveau, bibliophiles Genörgel am Bücher-Hochreck.

Ich las weiter. Etwa auf Seite 70 von 101 Spürte ich die Schwere des iPads. Es drückte in meine Handinnenfläche, was aufgrund eines bei mir nahenden Karpaltunnelsyndroms (leckere Juristenkrankheit) recht unangenehm war. Aber auch das mag auf dem iPad mini oder einem dieser anderen Toli-irgendwas, Huxlipux-Reader von Weltbild oder Aldi oder whatsoever anders sein. Ich empfand es jedenfalls als sehr störend. Eine knackige, kurze Sammlung von Lessings Erzählungen wäre weitaus leichter gewesen. Aber okay, das ist readerabhängig.

Die Seiten flossen dahin, und das Erste, das mir positiv auffiel, so etwa auf Seite 90, war die Möglichkeit, super schnell durch die Seiten zu “blättern”. Ich tippte und wischte was das Zeug hielt. Das ging wirklich flott, ein Zurückspringen auf Seite x war sehr einfach, und als mir dann die Markierungs-Funktion auffiel, beschlich ein Lächeln meine Lippen. Okay, stattgegeben: Die eingebaute Farbmarker-Möglichkeit ist stark. Da kann man nicht so viel gegen sagen.

Nach etwa anderthalb Stunden war ich auf Seite 101 angekommen, final entjungfert, das erste eBook gelesen. Phew. Ich musste erstmal durchatmen und…nein, ich habe keine Zigarette geraucht.

Und gut war es auch nicht (den Inhalt, wie gesagt, außer Acht gelassen). Letztlich ist es eine Gefühlsfrage. Die Markerfunktion hin oder her, ich nehme doch lieber einen Bleistift zur Hand. Das Schnell-Durch-Die-Seiten-Flippen ist ein flippiges Gimmick. Am Ende muss es natürlich jeder selbst wissen, aber: Ein eBook zu lesen fühlte sich für mich in etwa so an, als stellte man sich einen künstlichen Plastik-Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer. Oder als mache man per SMS Schluss. Oder als lese man Richard David Precht. Oder als esse man Kühltruhen-Sushi vom Plastikteller. Es wirkte nicht echt. Die Atmosphäre stimmte nicht.

Ich kann mir nicht helfen, aber dieses Erste Mal ging gründlich in die Hose.

3 thoughts on “Wie ich ein eBook las und überlebte

  1. Hahahahahhahahahahaha danke, ich habe mich köstlich amüsiert!!!! Vor allem deine finalen Vergleiche – oh Gott! („Ich heiße aber anders“ jaja) – ich habe einige Klassiker auf meinem Iphone… Habe angefangen zu lesen und nie ein Buch geschafft. Damals lud ich sie mir für langweilige Bahnfahrten und schnüffelte herum, doch nein, nie hielt ich es durch. Um ehrlich zu sein, vergaß ich auch stets ein Buch angefangen zu haben. Ich habe es also auch versucht. Und bin gescheitert. Oder sollte ich eher sagen, gerettet? Nichts ersetzt das klassische Buch, nichts! Vielen Dank, dass ich teilhaben durfte an diesem Experiment! lg

  2. Deine ersten Gehversuche in der Emedienwelt waren wirklich erheiternd zulesen, wenngleich ich anmerken muss, dass es natürlich einen signifikanten Unterschied zwischen Tablets und ‚wirklichen‘ Ereadern gibt. Auch das Medium, mit dem eine Datei gelesen wird, ist natürlich durchaus zu berücksichtigen, wenn es um die Beurteilung des Lesevergnügens geht. Ich schiebe das mal auf deine Jungfräulichkeit! Hat sich, by the way, was daran geändert?
    Gerade der letzte Absatz hat mich irgendwie dazu genötigt, diesen Beitrag zu kommentieren, weil die Vergleiche einfach so herrlich ins Schwarze treffen (und ich mag Ebooks.. es ist wie mit allem Bösen, man will es doch irgendwie). Danke an das „Ich-haue-Precht-in-die-Pfanne“.

  3. Danke dir für deinen Kommentar! Ja, die Jungfräulichkeit bringt so einige Unwissenheit mit sich, wie das so ist. Eventuell gelange ich Anfang Mai auf Umwegen in den Besitz eines Kindle Paperwhite. Damit werde ich dann versuchen, noch ein paar Erfahrungen zu sammeln und diese eventuell noch mal zu verschriftlichen. Deinen Vergleich mit dem Bösen finde ich gut. Vielleicht ist es wie mit einem Unfall: Man kann einfach nicht wegsehen…

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