Luke Pearson – Was du nicht siehst

Man sieht nur mit dem Auge gut, ganz frei nach Herrn Saint-Exupéry, aber Vieles bleibt ungesehen. Was entgeht unserem Blickwinkel, was übersehen wir, und, vor allem: Was würde sich ändern, könnten wir unseren Blick schärfen, unsere Perspektive wechseln?

Dies sind die Themen, denen sich Luke Pearson in seinem neuen Comic “Was du nicht siehst” widmet, auf deutsch vor kurzem bei Reprodukt erschienen.

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Hilfe! Ein Award!

Wie die Jungfrau zum Kinde kam ich gestern zu meinem ersten Blogger-Award. Nicole, die einen ambitionierten Literaturblog mit dem schönen Namen Urwort betreibt, verlieh mir (ja, mir!) den Best Blog – Award. Dafür zuerst einmal: Vielen Dank! Aber: Was soll ich davon halten?

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Natürlich soll ich mich freuen! Und das tue ich auch. Trotz des – ich sag es mal vorsichtig – latent kitschigen Award-Bildes. Wenngleich ich über die Nominierung recht überrascht bin, da ich mich leider – vor allem aufgrund des chronischen Zeitmangels – bisher immer aus derlei Dingen wie Award-Nominierungen rausgehalten habe. Die knappe Zeit lässt nur wenig Spielraum für die Kommunikation mit anderen Bloggern, was außerordentlich schade ist. Das führt allerdings auch dazu, dass ich mich in der sogenannten “Blogosphäre” nicht besonders gut auskenne. Das ist noch untertrieben: Mir sagen ein paar Blogs etwas, ich kenne quasi die Stars der Branche, weiß aber weder, wie die alle miteinander zusammenhängen, also wer mit wem was wie wo macht und wer mit wem kann, noch welcher Blog gerade angesagt ist oder nicht. Schande über mich!

Fragen schaffen Erkenntnis

Die Awards sind dazu gedacht, bloggophiles (ha, ein Neologismus!) Marketing zu betreiben und Aufmerksamkeit für aufstrebende Sterne am Literaturbloggerhimmel zu generieren und dabei en passant durch die Beantwortung von Fragen mehr über die anderen Blogger zu erfahren. Man soll also den Award nebst personalisiertem Fragenkatalog weiterleiten. Phew, alles Neuland für mich…

Bevor ich aufdecke, wen ich für den “Best Blog”-Award nominiere, zuerst die Beantwortung der von Nicole gestellten Fragen

1.) Wie lange praktizierst Du das Bloggen? & Was motiviert Dich?
Ich blogge seit Ende 2012, also noch nicht allzu lange. Motiviert werde ich vor allem dadurch, beim Schreiben von Rezensionen meine Gedanken zu einem guten (oder nicht so guten) Buch noch einmal Revue passieren zu lassen

2.) Welchen Beruf übst Du aus?
Ich bin Rechtsreferendar am Landgericht Münster. Momentan bereite ich mich auf das 2. juristische Staatsexamen vor, das ich in den ersten beiden Mai-Wochen schreiben werde. Ich hoffe sehr, danach wieder ein klein wenig mehr Zeit für die Bloggerei zu haben.

3.) Hast du Autoren-Vorlieben?
Im Bereich klassischer Literatur ganz klar Franz Kafka und Stefan Zweig (vielleicht gerade, weil beide stilistisch nicht unterschiedlicher sein könnten). Im Bereich zeitgenössischer Werke hat es mir Arnon Grünberg angetan. Bei den Comics bin ich großer Freund von Jiro Taniguchi, Jeff Lemire und Jonathan Hickman.

4.) Erzähle von deinen Lieblings-Blogs – Wem folgst du? Warum?
Oh, Gott – das ist schwer. Wie gesagt: Ich kenne die Blogosphäre ungefähr so gut, wie ich mich mit Mathematik auskenne: Fürs kleine Einmaleins reicht es so gerade. Das war es dann auch. Ich gelobe Besserung! Aber natürlich folge ich dem Blog meines Kumpels Tilman von 54books, ebenso Katharina mit ihrem Kulturgeschwätz. Mit Vorliebe lasse ich mich gelegentlich auch bei Twitter von Blog zu Blog treiben (ich glaube, man nennt das Surfen, in diesem Internet).

5.) Welchen Einfluss hat die Literatur auf dein Leben?
Darüber müsste ich mal ein Essay schreiben, oder Ähnliches – jedenfalls eine sehr weitläufige Frage. In einem Satz: Lesen ist die produktivste Form der Entschleunigung.

6.) Impuls-Antwort erwünscht: Welches Buch macht einen Tag für dich vollkommen?
Ganz impulsig: Stefan Zweigs “Die Welt von Gestern”.

7.) Deine Meinung: Sommerbuch 2014?
Florian Illies’ “1913”…haha! Nein, ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Vielleicht noch denkbar, aber eher nicht als “Sommerbuch” (was ist ein Sommerbuch?): In Bälde erscheint wohl, wie gut unterrichtete Kreise verlautbarten, eine Comicadaption von Remarques “Im Westen nichts Neues”. Passt natürlich zum Thema 100 Jahre WK1 und war sowieso längst überflüssig: Ein großes Werk wie das genannte gehört einfach auch als Comic auf den Markt.

And the Award goes to…

Nun zu meiner Nominierung. Mein Problem bei der Auswahl ist, wie gesagt: Ich kenne keine aufstrebenden Sternchen. Aber da der Award-Titel “Best Blog” heißt, kann ich meine Auswahl mit Fug und Recht vertreten, denn der von mir benannte Blog ist wirklich stark:

Mein “Best Blog”-Award geht an Birgit Böllinger von “Sätze und Schätze”!

Der Fragenkatalog bleibt derselbe (s.o.) – mit einer Zusatzfrage:

8.) Wenn du drei Bücher vor der Apokalypse, die alle anderen Bücher auf dem Planeten zerstört, retten könntest – welche wären es?

Das war’s! Nach bestem Wissen und Gewissen. Hat Spaß gemacht – danke nochmal an Nicole!

Familie, Betrug und Eishockey

Wer wie ich auf dem Land aufgewachsen ist, weiß, dass die Uhren dort anders gehen. Langsamer, bedächtiger. Das gilt bereits für von mir liebevoll als solche bezeichnete Käffer in der überschaubaren Weite zwischen südlichem Niedersachsen und nördlichem NRW. Umso mehr gilt diese (Vorsicht, Neologismus!) Anderszeitigkeit jedoch da, wo die Dimensionen größer werden: In der gar nicht mehr so überschaubaren, unendlich weiten, schneeweißen Landschaft Kanadas.

Dies ist der Ort, an dem die Handlung der “Essex County” – Geschichten des frankokanadischen Zeichners und Szenaristen Jeff Lemire spielen. Für eingefleischte Comicleser ist Mr Lemire spätestens nach “Sweet Tooth” längst kein Geheimnis mehr. Ich habe “Essex County” erst jetzt gelesen, genau genommen habe ich die Lektüre vor weniger als fünf Minuten beendet und umso stärker noch ist der Nachhall dieses großartigen Werks. Dass dieser literarische Nachhall, dieser angenehme Geschmack auf der Zunge, den beeindruckende Literatur hinterlässt, sich so schnell verflüchtigen wird, wie es bei manch mittelmäßiger Erzählung der Fall ist, ist hier nicht zu erwarten. Mehr noch: “Essex County” wird bleiben, als ein Buch, dass mich sehr berührt hat.

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Lemire erzählt in drei Hauptgeschichten mit den Titeln “Tales from the Farm”, “Ghost Stories” und “The Country Nurse” von Außenseitern, die im Nirgendwo Kanadas versuchen, ihren Alltag zu meistern. Wir treffen den 10jährigen Lester, dessen Herkunft im Dunkeln liegt und der durch Comics überlebt (wäre der Autor nicht sowas von mausetot, würde ich hier was zur Biographie von Lemire schreiben, dem Comiczeichner, der zufällig im realen Essex County geboren wurde); wir lernen den gescheiterten, etwas langsamen Erst-Eishockeyspieler-dann-Tankwart Jimmy kennen, wir sehen zwei Brüder, die durch das Missgeschick einer Nacht entzweit werden und erfahren, dass die Krankenschwester Anne demütig eine Familientradition der Einsamkeit fortsetzt.

Einsamkeit ist die Hauptzutat des meisterlichen Gemischs, das Lemire anrichtet, während als weitere Ingredienzen Familie, Freundschaft, Betrug, Versagen und…sagte ich schon Eishockey? Was für deutsche Ohren unverständlich klingt, ist in Kanada Fakt: Eishockey ist Bestandteil des täglichen Lebens, eine Art soziales Schmiermittel gegen die Einsamkeit der Weite, ein Bindemittel für Familie und Freundschaft. Lemire zeichnet diese Geschichten von normalen Leuten, die alle miteinander verwoben sind und sich gegen die Zeit stemmen, in seinem unverwechselbar rauen Strich, schwarzweiß, mit nur wenig Grautönen, dennoch dank vieler Details stets differenziert. Und immer subtil, nie effektheischend, nie aufdringlich.

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Dass der Alltag normaler Menschen mit das Spannendste ist, was Literatur, sei es in Comicform oder als Prosatext, zu bieten hat, scheint bei vielen noch nicht angekommen zu sein. Aber es ist so: Die Scheinplatitüde, das Leben schreibe die besten Geschichten, ist keine. Sie stimmt.