Franz Kafka im aktuellen SPIEGEL:
Unter dem Titel “Der Seher” widmet das Magazin in seiner Print-Ausgabe, die morgen erscheint, das Titelthema dem vielleicht größten deutschsprachigen Literaten des 20. Jahrhunderts.
Es geht um Kafkas Hell- und Weitsicht bei der Schöpfung von so modernen, auch heute zutiefst aktuellen Werken wie “Der Prozess”. Auch wenn ich kein übermäßiger Fan des SPIEGELS bin – die morgige Ausgabe dürfte interessant werden. Als Gimmick gibt es darin auch ein Interview mit Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller.
An dieser Stelle darf ein kurzer Text Kafkas nicht fehlen. Da sich der SPIEGEL-Titel primär mit Kafkas “Prozess” befassen wird, wie ich mich nun, ebenfalls seherisch, zu prognostizieren vorwage, habe ich Kafkas kurzen Prosatext “Wunsch, Indianer zu werden” aus dem Jahre 1913 ausgewählt, um Kafkas Vielseitigkeit zu zeigen. Vor allem aber auch, weil besagter Text zu dem Absonderlichsten und Rätselhaftesten gehört, was ich von Kafka gelesen habe:
Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.
aus “Betrachtung”, 1913
Eine gemähte Heide der Möglichkeiten, denen man als freier Mensch in der (post)modernen Welt hinterher rennt wie ein Reiter ohne Sporen und Zügel. Auch das Zitat “Du bist frei, und deshalb bist du verloren” wird Kafka zugeschrieben. Übertrieben oder die düstere Diagnose des Seelenlebens allzu vieler Zeitgenossen?
Mehr von Kafka gibt es hier (Biographie) und hier (In der Strafkolonie).