Bücher, Comics, Emotionen?!

Mein bibliophiler Jahresrückblick

2014 – das ist zwei Jahre nach dem Start dieses Blogs und etwa 24 Jahre, nachdem ich das Lesen gelernt habe. 62 Bücher habe ich mir dieses Jahr zu Gemüte geführt, zwei mehr als im letzten Jahr. 30 Comics, 32 mal Prosa und Lyrik. Das ist für meine Verhältnisse nicht wenig, und somit lohnt es am Jahresende, ein wenig die Spreu vom Weizen zu trennen: Was hat sich gelohnt, was weniger? Was waren die Lese-Highlights des Jahres, egal ob als Prosawerk oder Comic, welche Neuentdeckungen habe ich gemacht, welches Buch war einfach nur schrecklich?

Um bei diesem Jahresrückblick nicht in epische Längen á la „Menschen. Bilder. Emotionen. 2014 mit Günther Jauch“ abzudriften, beschränke ich mich in jeder Kategorie auf die Länge eins Tweets, ergänzt um ein Foto.
Los geht’s!

Prosa

Ganz klar: James Joyces „Ulysses“ macht das Rennen im Bereich Prosa. Dazu ist alles gesagt: Dieses Werk ist eine Bereicherung fürs Leben.

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Robert Crumbs “Mister Nostalgia”–Von Country Blues und Comix

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Bereits nach wenigen Seiten der Lektüre von Robert Crumbs “Mister Nostalgia” hatte ich das Bedürfnis, meinem Ärger Luft zu machen. Ärger darüber, dass ich nicht viel früher zu Sachen von Herrn Crumb gegriffen habe. Deshalb obiger Tweet. Klar, letztes Jahr habe ich eine Kafka-Biographie gelesen und besprochen, die von Herrn Crumb illustriert wurde. Aber dabei handelte es sich um eine Kooperation, nicht um ein originäres Werk von Crumb selbst, dem Altmeister der Underground-Comix.

Nun also “Mister Nostalgia”. In all meiner Unbedarftheit, was Underground-Comix im Allgemeinen und Crumb im Besonderen angeht, habe ich mich für “Mister Nostalgia” vor allem aufgrund der bibliophilen Gestaltung des Buches entschieden. Die neuen Crumb-Werke bei Reprodukt sind allesamt großformatig in Halbleinen gebunden, bestechen durch dickes Papier und viele liebevolle kleine Illustrationen zwischen den eigentlichen Geschichten.

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Wie gesagt hat es dann jedoch nicht lange gedauert, bis mich der ureigene, verschrobene, seltsam packende Charme des Herrn Crumb einfing. Dabei ist das Thema von “Mister Nostalgia” alles andere als mein Steckenpferd: Es geht um Musik, genauer gesagt um alten Country Blues aus den Südstaaten der USA, um Plattensammler, Grammophone und Auftritte in schummerigen Blues-Spelunken. Ich höre gerne und oft Musik, auch Blues, aber ich bin da bei weitem nicht bewandert – hier sollte man sich an Tilman von 54music 54books wenden.

Allerdings schaffte Crumb es schon in der ersten Geschichte mit dem Namen “So ist das Leben” mich zu überraschen – indem er den Protagonisten, direkt, nachdem die Geschichte gerade anfing…aber lassen wir das, ich will keine Spoiler verbreiten. Crumbs lakonischer und (zumindest hier) zurückhaltend zynischer Stil, gepaart mit seinem Humor, ergibt eine wunderbare Mischung, die nicht nur Leser mit einem special interest in Blues- und Jazzgeschichte packen dürfte.

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In einer anderen Geschichte erzählt Crumb davon, wie er selbst (aus den massiven autobiographischen Bezügen wird, wie wohl häufig bei Crumb, keinerlei Hehl gemacht) auf die Jagd nach alten Schallplatten geht und stets auf der Suche ist nach einem neuen alten Meisterstück, einem verbogenen Schatz. Das erinnert an die persönliche Bücherjagd und macht Crumb höchst sympathisch.

Zu Crumbs Stil gibt es nur eins zu sagen: Im Comicbereich gibt es einige Künstler (steigender Anzahl, wie es mir scheint), die einen derart individuellen Stil haben, dass man sie immer und überall aus Dutzenden anderer Zeichner herausheben kann. Crumbs schraffurlastiger, schmutziger, unrein-dynamischer Schwarzweis-Stil sucht Seinesgleichen: Als Vorreiter der Underground-Comix hat er in der Radikalität seiner Zeichnungen Pionierarbeit geleistet. Die dicken Beine der Rubensfrauen, die stets maßlos übertriebene Mimik – man muss Crumbs Eigenwilligkeiten einfach lieben. Oder zumindest künstlerisch wertschätzen.

“Mister Nostalgia” ist eine gelungene Sammlung von kurzen Geschichten, Porträts und anderen Skizzen, die trotz des scheinbaren Gegensatzes von Country Blues und U-Comix aus einem Guss daherkommt.

Es ist schön, wenn sich neue Welten öffnen. Crumb hat mir das Tor zur Welt des Comic-Undergrounds ein großes Stück weit aufgerissen.
Danke!

Mouse Guard und die Artefaktfalle

Im Medium Comic scheinen Mäuse eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen. Erst Disneys “Mickey Mouse”, dann Spiegelmans “MAUS”…und nun David Petersen, der mit “Mouse Guard” einen Nager-Comic vorlegt, der in den letzten Jahren für Furore sorgte.

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Das Buch selbst ist bereits haptisch ein Leckerbissen. Ich habe die englische Version von “Mouse Guard: Fall 1152” gelesen, die als Hardcover im Verlag TitanBooks erschienen ist. Auf deutsch erscheint Mouse Guard bei CrossCult. Das Buch ist hervorragend gebunden, die Vorsatzseiten sind bereits äußerst liebevoll gestaltet. Die Ausgabe vereint neben den sechs Kapiteln der eigentlichen Geschichte noch einen Anhang mit ebenfalls aufwändig gestalteten Landkarten und Infos aus der Welt von Mouse Guard.

Und diese Welt ist hart. Die Mäuse leben in abgeschotteten, geheimen und autonom organisierten Städten und Dörfern im Wald. Um jedoch von Ort zu Ort zu gelangen, ohne von ihren vielen Feinden überrascht zu werden, haben die Mäuse eine Art städteübergreifende Allianz gegründet: Die Mouse Guard. Im Zentrum der Geschichte stehen drei Vertreter eben jener Wache, die nach und nach einem Komplott auf die Spur kommen, der die Autonomie der Städte und die Freiheit der Mäuse selbst bedroht.

Soviel zur reinen Geschichte, die leider aufgrund des wenig inspirierten Settings und ihrer latenten Vorhersehbarkeit auch gleichzeitig der größte Schwachpunkt des Bandes ist. Denn leider greift auch bei dieser Fantasygeschichte das, was ich als Artefaktfalle bezeichne: Ein einzelner, mit allerhand Mythos und Macht aufgeladener Gegenstand bildet den Mittelpunkt der Story und entscheidet über Sieg oder Niederlage. War diese Idee beim “Herr der Ringe” noch revolutionär, so wirken heutige Fantasywerke, bei denen die Artefaktfalle zuschnappt, für meine Begriffe etwas schwach. Bei Mouse Guard ist es eine mystische Axt, die die Artefaktfalle zuschnappen lässt. Das ist schade, da durch diesen Mangel an erzählerischer Tiefe viel Potential verschenkt wird. Dabei zeigt doch aktuell beispielsweise George R. R. Martin mit “Game of Thrones”, dass brillante Fantasy auch ohne geheiligte und ach-so-übermächtige Artefakte möglich ist.

Mouse Guard The Back Axe

Bei Mouse Guard allerdings gibt es eine Besonderheit: Die Story tritt, auf ganzer Linie, hinter den wahrhaft fulminanten Zeichnungen und der exzellenten Koloration zurück. Das Werk ist optisch so herausragend, dass ich die narrativen Mängel allzu gerne verzeihe. Lettering, Zeichnungen, Panelaufteilung, Perspektive, Licht, Farben, Atmosphäre – hier stimmt grafisch einfach alles. Mir fällt spontan kein Comic ein, der mich grafisch ähnlich stark begeistert hat.

Über die Story sagte ein guter Freund von mir, bereits nach wenigen gelesenen Seiten: “Als die Tiere den Wald verließen meets Herr der Ringe” – und damit hat er definitiv nicht ganz Unrecht. Grafisch jedoch mein bisheriges ganz persönliches Comic-Nonplusultra.

Wer bereit ist, erzählerische Abstriche in Kauf zu nehmen und diesmal weniger auf seinen Verstand, als vielmehr auf seine Augen zu hören (ja, genau, richtig gelesen), der macht mit “Mouse Guard” alles richtig. Ich jedenfalls werde mir den zweiten Band zulegen.