In einem unbekannten Land…

…vor gar nicht allzu langer Zeit…

Im Herbst steht ein Jubiläum ins Haus: Am 09. November 2014 jährt sich der Mauerfall zum 25. Mal. Weltpolitisch betrachtet sind 25 Jahre keine allzu lange Zeit; jedoch hat sich in den Jahren seit der Wende in unserem geeinten Land soviel getan, dass die Spuren der DDR-Vergangenheit mehr und mehr verblassen.

Auf Spurensuche begibt sich auch der Berliner Comic-Künstler Mawil, der 1976 in Ostberlin geboren wurde und somit die letzten DDR-Jahre noch als Kind und Jugendlicher erlebte. Nach über sieben Jahren legt er mit “Kinderland” sein neues Comic vor, dessen fast 300 farbenfrohe Seiten heute am GratisComicTag bei Reprodukt erscheinen. Ohne die Machenschaften des ostdeutschen (Überwachungs-)Staates zu verklären oder in “Ostalgie” zu verfallen, ergründet Mawil pointiert, wie Kinderaugen das ganz alltägliche Leben in der DDR wahrnahmen.

Pioniere, FDJ und Tischtennis

Mirco ist 13, für sein Alter etwas klein geraten und dazu auch noch recht nah am Wasser gebaut. Er geht in die 7. Klasse der Tamara-Bunke-Schule in Ostberlin, schleppt sich mehr schlecht als recht zu dem einen, richtigen Klavierunterricht und zu dem anderen “Klavierunterricht”, das heißt zu den jungen Pionieren. In der Klasse scheint er mit den Mädchen, die ihn zumindest dulden, besser klarzukommen als mit den Jungs, die ihn bestenfalls ignorieren.

Immer wieder hat er Streit mit den draufgängerischen, viel älteren FDJlern Bolzen und Prinz, die ihm das Leben schwer machen. Eines Tages lernt er Torsten kennen, den unangepassten neuen Mitschüler, dem Zuspätkommen nichts ausmacht und der tatsächlich eine Digitaluhr aus dem Westen am Handgelenk trägt.

Als Mirco seine Eltern eines Tages dabei belauscht, wie diese vom “Rübermachen” sprechen, bekommt er es mit der Angst zu tun. Ablenkung findet der unsichere Siebtklässler nur im Tischtennis, wo er am liebsten ein Turnier für die ganze Schule organisieren würde. Doch das ist am Pioniergeburtstag natürlich nicht erlaubt. Und sowieso hat die DDR die Sportförderung von Tischtennis eingestellt, da die Chinesen, die ihren ganz eigenen Sozialismus betreiben, darin zu gut geworden sind.

Die Ereignisse verdichten und überschlagen sich, bis irgendwann der 09. November naht. Und damit eine Nacht, die alles verändert.

Konsequente Kinderaugen

“Kinderland” ist ein kleiner Geniestreich. Mawil hält konsequent die kindliche Perspektive durch, jede Szene ist aus Mircos Sicht geschrieben und gezeichnet, sodass der Leser schon nach wenigen Panels mitfiebert – und sich vielleicht ein wenig an seine eigene Kindheit erinnert, egal ob ins Ost oder West. Die politischen Umstände und Hintergründe lässt Mawil dabei stets sehr subtil einfließen. So mag auf einem Tisch beiläufig Westpresse wie der SPIEGEL liegen oder eine Mitschülerin mag plötzlich mitsamt Familie verschwinden. Mirco versteht all dies nicht richtig, und viel wichtiger ist ohnehin das Tischtennis. Aber Mirco und damit auch der Leser spürt, dass das Politische im Alltag hintergründig allgegenwärtig ist.

Die äußere Struktur der Panels ist genau so streng wie der zeichnerische Inhalt frei und jovial ist: In starren, fast nie gebrochenen, stets mit fettem Strich umrandeten Panels brennt Mawil jeweils ein kleines Feuerwerk an Bonbonfarben und professionell-naiven Zeichnungen ab. Das Ganze ist, auch wenn ich das Wort nicht besonders mag, “cartoonig” – aber ganz sicher nie albern. Mawil trifft jeden Ton.

Das gilt auch für die grandiosen Dialoge. Mawil lässt ganz bewusst die Jugendsprache der späten Achtziger wiederaufleben. Das ist gewöhnungsbedürftig, schafft aber eine umso realistischere Atmosphäre. Getragen wird der Text von Lettering und Soundeffekten, die genau so schrill und bunt sind wie die Zeichnungen und mit diesen bestens harmonieren.

Fazit

“Kinderland” ist eine wunderbare Erzählung aus einem Guss. Mawil schafft es, das Medium Comic so kohärent zu nutzen, wie ich es lange nicht mehr gelesen habe.

Wer sich für eine realistische, subtil politische und keinesfalls verklärende Betrachtung des untergegangenen Nachbarlands interessiert, sollte “Kinderland” unbedingt eine Chance geben. Dieses Comic ist für alle Altersklassen geeignet und ebenso für Comic-Aficionados wie für Neueinsteiger in die Welt der Sprechblasen zu empfehlen.

Ein ganz großes Lob an Mawil nach Berlin!

Ode an die Neunte Kunst: “Yay, Comics!”

Die Podcast-Szene wächst und gedeiht, und Bücherpodcasts gibt es viele. Unter den Podcasts, die sich dezidiert mit Comics befassen, gibt es leider nur wenige Perlen. Eine davon möchte ich allen Comicbegeisterten und solchen, die endlich auch zu diesem illustren Kreis gehören wollen, empfehlen: „Yay, Comics!“ des berliner Kreativen Carlito.

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Seit knapp einem Jahr wandert Carlito durch die berliner Comicszene und berichtet im Gespräch mit diversen Vertretern der Neunten Kunst über Neuerscheinungen aller Art, über Autoren, Zeichner, Verlage, Stile, Verfilmungen, Messen, Cons und mehr. Das Ganze ist handwerklich auf einem sehr hohen Niveau und wird, sehr zu meiner Freude, stets mit entspannt-jazzigen Pianoklängen untermalt. Dabei deckt das Repertoire der Themen inhaltlich nahezu das gesamte weite Feld der Comics ab, wenngleich ein leichtes Übergewicht hin zu amerikanischen (Superhelden-)Comics gegeben ist. Aber das lässt sich verschmerzen.

Der Stil ist locker, es wird einfach drauflos geplaudert, zum Glück gibt es kein Skript. Gern gesehene Gesprächspartner sind dabei vor allem die Jungs des berliner Comicladens „Grober Unfug“. Alles wirkt ein wenig improvisiert, aber gerade das macht den Reiz des Podcasts aus. An einigen Stellen musste ich laut lachen, an anderen zumindest schmunzeln, immer fühlte ich mich gut unterhalten.

Bisher sind 16 Folgen erschienen, die allesamt im Schnitt etwa eine Stunde lang sind. Diese Stunde ist gut investiert. “Yay, Comics!” eignet sich meiner Meinung nach nicht nur für eingefleischte Fans des grafischen Erzählens, sondern insbesondere auch für Anfänger. Neben den Comics an sich erfährt man auch einiges über die berliner Comicszene.

To cut a long story short: Reinhören lohnt sich!