„Das Urteil“ nach Franz Kafka – Comicadaption von Moritz Stetter

„Georg stand verlegen auf. »Lassen wir meine Freunde sein. Tausend Freunde ersetzen mir nicht meinen Vater. Weißt du, was ich glaube? Du schonst dich nicht genug. Aber das Alter verlangt seine Rechte. Du bist mir im Geschäft unentbehrlich, das weißt du ja sehr genau, aber wenn das Geschäft deine Gesundheit bedrohen sollte, sperre ich es noch morgen für immer. Das geht nicht. Wir müssen da eine andere Lebensweise für dich einführen.“

Vladimir Nabokov wird zum Thema Schreibstil die Aussage zugeschrieben: „Erkläre mir nicht, dass der Mond scheint, sondern zeige mir, wie sich dessen Licht im Fenster bricht.“ Nabokov teilt der reinen Deskription eine Absage – wer schreibt, soll nicht (nur) beschreiben, sondern vermitteln, wie sich das, was zu beschreiben wäre, anfühlt.

Was macht eine gute grafische Adaption eines Prosatextes aus – die zeichnerische „Beschreibung“ oder eher, mit Nabokov, das Vermitteln eines emotionalen Eindrucks, auch wenn dazu die Grenzen der realistischen Darstellung überschritten werden müssen?

Für mich ist der Fall klar: Letzteres. Der Schwierigkeit, sich Franz Kafkas „Urteil“ zu widmen, ohne das, was geschieht, nur rein deskriptiv „abzumalen“, hat sich Moritz Stetter angenommen. Die dabei entstandene Comicadaption ergänzt das Kafka-Portfolio des Knesebeck-Verlags um das wichtige Frühwerk.

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Zwei Mal „Der Process“: Die Bebilderung des Kafkaesken

„Vor allem war es, wenn etwas erreicht werden sollte, notwendig, jeden Gedanken an eine mögliche Schuld von vornherein abzulehnen. Es gab keine Schuld.“

Kafkas „Process“ gehört zu den Klassikern der Weltliteratur und ist zu Recht eines der bekanntesten Werke Kafkas und der deutschsprachigen Literatur überhaupt. Erscheint der klassische Text dann zum einen in einer illustrierten Ausgabe bei der Büchergilde und zum anderen bei Knesebeck als Comicadaption, stellt sich die Frage, ob dem großartig-absonderlichen Textvorbild grafisch Genüge getan wurde. Ein Vergleich der beiden ganz unterschiedlichen Methoden, sich einem Text grafisch zu nähern, drängt sich auf.

Beide hier verglichenen Werke, die illustrierte Ausgabe von Bengt Fosshag und die Graphic Novel von Montellier und Mairowitz, versuchen, das Kafkaeske zu bebildern: Kann man Kafkas speziellen Sprachstil visualisieren? Kann man das Erdrückende einer unklaren, ungreifbaren Macht in Bilder gießen? Und, vielleicht am Spannendsten: Welchem Medium gelingt das besser, dem illustrierten Buch oder dem Comic? Die Freiheit, beides zu vergleichen, nehme ich mir.

Die Illustrationen von Bengt Fosshag

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Fosshags Versuch, Kafkas Process zu bebildern, erschien 2005 bei der Büchergilde in einer handschmeichlerischen Halbleinenausgabe. Allein diese – wie von der Büchergilde zu erwarten – ganz wunderbare Ausgabe des Process’ macht es dem Bibliophilen schwer, etwas Negatives über Fosshags Illustrationsarbeit zu sagen. Aber: Es gibt da leider so Einiges, was Herrn Fosshag bei seinen Buntstiftillustrationen misslingt.  Continue reading

Kafkas “In der Strafkolonie” in Wort und Bild

Immer auf der Suche nach weiteren Klassikern, die mit Liebe zum Medium Comic gleichsam graphic-novellisiert wurden, stieß ich schon vor einiger Zeit auf Kafkas “In der Strafkolonie”, eine Erzählung, die dieser Meister der Absonderlichkeit während der Arbeit an seinem Romanfragment “Der Proceß” wie nebenbei zu Papier brachte.

Die Novelle: “In der Strafkolonie” von 1919

“Es ist ein eigentümlicher Apparat” – so beginnt der Text, und eigentümlich ist nicht nur der beschriebene Folterapparat, sondern auch die Erzählung an sich. Dabei ist, wie häufig bei Kafka, die reine Handlung schnell erzählt: Ein namenloser Reisender besucht eine Strafkolonie, in der ihm ein – wie alle anderen Personen der Novelle – ebenfalls namenloser Offizier eine Maschine vorstellt, mit der ein menschenunwürdiges Strafverfahren durchgeführt wird, bei dem der Konstrukteur, der alte Kommandant der Strafkolonie, und der Offizier, der nunmehr als Richter tätig ist, nach dem Grundsatz vorgehen: “Die Schuld ist immer zweifellos“. Ein Verurteilter steht bei den Erklärungen des Offiziers bereit, durch den Apparat exekutiert zu werden, wenngleich er sein Urteil noch nicht kennt und auch, dem Grundsatz folgend, keine Gelegenheit hatte, sich zu verteidigen. Die Maschine selbst ist eine Art überdimensionierter, vielfedriger Stift, der das verhängte Urteil in Form eines einfachen Leitsatzes (zum Beispiel “Ehre deinen Vorgesetzten”) so lange mit spitzer Nadel auf den Rücken des Verurteilten tätowiert, bis dieser schließlich den Verstand verliert und verblutet.

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In der Folge entspinnt sich ein Dialog zwischen dem Reisenden, einer Art Rechtsgelehrtem, der die verschiedenen Strafverfahren auf der Welt untersucht, und dem Offizier, der von dem Apparat und dessen Funktionsweise schwärmt. Am Ende trifft der Offizier eine folgenschwangere Entscheidung.

“In der Strafkolonie” hat mich ratlos zurückgelassen, aber genau das erwartet man bei Kafka ja auch. Ich habe schon in der Schule aufgehört, den Anspruch zu pflegen, Kafkas Texte befriedigend interpretieren zu können. Gerade “In der Strafkolonie” ist aufgrund der völligen Unkenntnis über Zeit, Raum und Hintergrund des Geschehens ein höchst surreales Werk, das man meiner Meinung nach nur zurückhaltend rational, aber dafür umso intensiver emotional erfahren sollte. Und Emotionen ruft dieses kleine Werk durchaus hervor: Bei einer Lesung Kafkas in München, bei der er seine “Strafkolonie” vortrug, sollen aufgrund der expliziten Gewaltdarstellung gleich mehrere Frauen in Ohnmacht gefallen sein.

Ohnmächtig ist auch der Reisende in der Erzählung ob der schreienden Ungerechtigkeit des Tötungsapparats, der die alte Ordnung unter dem verblichenen vormaligen Kommandanten der Strafkolonie symbolisiert. Übertragen auf die Nachkriegszeit, so viel latente Interpretation sei mir gestattet, ist “In der Strafkolonie” auch lesbar als Abrechnung mit den letzten Ausläufern eines überkommenen Unrechtssystems, als angewiderter Nekrolog bei der Beerdigung der alten, würdelosen Ordnung. Der begründeten Hoffnung auf einen besseren Neubeginn, die dabei aufkommt, nimmt Kafka sofort allen Wind aus den Segeln, wie das prophetische Ende der Geschichte bezeugt. Aber das gilt es selbst zu lesen.

Eingefleischte Kafkajünger werden die “Strafkolonie” sicher aufgesogen haben, aber auch zurückhaltenden Kafkalesern wie mir, die sich nur dann und wann in gleichsam verträglichen homöopathischen Dosen mit dem tragischen Dichter befassen, kann ich “In der Strafkolonie” nur empfehlen. Müsste ich drei Kafkatexte nennen, die man gelesen haben sollte, so gehört neben der obligatorischen “Heimkehr” und dem von mir geschätzten “Landarzt” auch die “Strafkolonie” dazu.

Das Comic: Ricards und Maëls Adaption von 2007

Wer Kafka in irgendein anderes Medium transportieren will, verfügt entweder über eine ganz gehörige Portion Selbstvertrauen, oder aber ist so ausnehmend gescheit, zu verstehen, dass jede Kafkaadaption scheitern muss und dass gerade deshalb alles erlaubt ist.

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2007 erschien der Versuch von Sylvain Ricard und Maël, die eigentümliche Novelle grafisch einzuhegen, bei Knesebeck. Dieser Versuch ist ambitioniert umgesetzt, aber er überzeugt nur teilweise.

Szenarist und Zeichner bleiben dem Werk dabei in zweierlei Hinsicht treu: Inhaltlich werden keine eigenständigen Akzente gesetzt und Panelstruktur wie Zeichnungen sind klar und streng aufgebaut, ebenso konstruiert wie Kafkas Vorlage. Da das surreale Werk vor allem von Dialogen lebt und sonst nur wenig Handlung aufweist, waren die beiden Comicschaffenden darauf angewiesen, die speziellen kommunikativen Nuancen, die sich im Kontrast Offizier vs. Reisender abspielen, auf der Bildebene herauszuarbeiten. Dies sind die stärksten Stellen des Buches, wenn die Zeichnung des Gesichts des Reisenden auf einen Blick vermittelt, dass er sich noch zurückhält, aber die grausame Foltermaschine bereits verachtet. Hier bedient sich der Zeichner einer Art umgekehrter “Ligne Claire”: Ausdifferenzierte Charakterdarstellungen finden vor einfarbigen, sepiaähnlichen Hintergründen statt. Die Figuren schweben dadurch teilweise gleichsam im Raum, wie die Geschichte selbst. All das passt, all das gefällt.

Hätten Ricard und Maël genau diesen Ansatz nicht nur formal, sondern auch inhaltlich weitergeführt, wäre ihnen eine großartige Comicadaption gelungen. Leider verbleibt das Werk so beim gehobenen Durchschnitt. Gerne hätte ich, wenn auch nur angedeutet, nebulös, eben kafkaesk, mehr über den Offizier, die Kolonie und den Reisenden erfahren. Wo findet all das statt? Wann spielt es? Diese Fragen, die Kafka nicht nur offenlässt, sondern nicht mal anspricht, in Ansätzen anzusprechen oder gar zu beantworten ist keine Schande.

Es ist keine Majestätsbeleidigung, die eingetretenen Pfade des Originals zu verlassen, dieses zu verfremden, weiterzuführen, umzuinterpretieren und neu zu denken. Leider trauen sich all zu viele Comics genau das noch nicht, leider sind sich viele Comicschaffende der unendlichen Freiheit, die das Medium bietet, noch nicht bewusst. Aber das Medium ist jung und erlebt, wie es scheint, gerade erst seine Blüte.

Es wird viel passieren. Ich habe da begründete Hoffnung.