Zwei Mal „Der Process“: Die Bebilderung des Kafkaesken

„Vor allem war es, wenn etwas erreicht werden sollte, notwendig, jeden Gedanken an eine mögliche Schuld von vornherein abzulehnen. Es gab keine Schuld.“

Kafkas „Process“ gehört zu den Klassikern der Weltliteratur und ist zu Recht eines der bekanntesten Werke Kafkas und der deutschsprachigen Literatur überhaupt. Erscheint der klassische Text dann zum einen in einer illustrierten Ausgabe bei der Büchergilde und zum anderen bei Knesebeck als Comicadaption, stellt sich die Frage, ob dem großartig-absonderlichen Textvorbild grafisch Genüge getan wurde. Ein Vergleich der beiden ganz unterschiedlichen Methoden, sich einem Text grafisch zu nähern, drängt sich auf.

Beide hier verglichenen Werke, die illustrierte Ausgabe von Bengt Fosshag und die Graphic Novel von Montellier und Mairowitz, versuchen, das Kafkaeske zu bebildern: Kann man Kafkas speziellen Sprachstil visualisieren? Kann man das Erdrückende einer unklaren, ungreifbaren Macht in Bilder gießen? Und, vielleicht am Spannendsten: Welchem Medium gelingt das besser, dem illustrierten Buch oder dem Comic? Die Freiheit, beides zu vergleichen, nehme ich mir.

Die Illustrationen von Bengt Fosshag

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Fosshags Versuch, Kafkas Process zu bebildern, erschien 2005 bei der Büchergilde in einer handschmeichlerischen Halbleinenausgabe. Allein diese – wie von der Büchergilde zu erwarten – ganz wunderbare Ausgabe des Process’ macht es dem Bibliophilen schwer, etwas Negatives über Fosshags Illustrationsarbeit zu sagen. Aber: Es gibt da leider so Einiges, was Herrn Fosshag bei seinen Buntstiftillustrationen misslingt.  Continue reading

Saša Stanišić: Vor dem Fest – Was Sprache kann

“Wir sind traurig. Wir haben keinen Fährmann mehr. Der Fährmann ist tot. Zwei Seen, kein Fährmann. Zu den Inseln gelangst du jetzt, wenn du ein Boot hast. Oder wenn du ein Boot bist. Oder du schwimmst. Aber schwimm mal, wenn die Eisbrocken in den Wellen klacken wie ein Windspiel mit tausend Stäben.”

Rhythmus: Ein Dorf im Dialog

Die obigen Zeilen, der Anfang des Werks, mit dem Stanišić den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse gewann, enthalten in nuce bereits den Ton des Ganzen, destilliert auf wenige Zeilen: Ein kollektives “Wir” spricht mit dem “Du” des Lesers (oder einem anderen Du?), eine Dialog spannt sich auf, die Grundstimmung ist latent traurig (der Fährmann ist tot), es gibt zwei Seen, die Eisbrocken “klacken”. Mehr braucht man nicht, um in einen Text einzuführen, der seinen Sog von der ersten Zeile an entwickelt und dessen sprachlicher Rhythmus bis zum Ende keinen Jota nachgibt. Continue reading