Irgendwann habe ich gesagt, dass ich auf diesem Blog niemals „Vampire-Romance“ besprechen werde – zu eintönig die Geschichten, zu abgedreht das Setting, zu sehr Massenware, zu langweilig, einfach nicht mein Ding. Nun tue ich es doch. Joann Sfars „Vampir“-Kosmos ist genau das: Ein Konglomerat an Liebesgeschichten über einen Vampir. Aber nicht so, wie der geneigte Stephenie-Meyer-Leser jetzt denkt.
Joann Sfar wird den meisten Freunden der Neunten Kunst ein Begriff sein. Sfars Comicbiographie der Jugendjahre Marc Chagalls – „Chagall in Russland“ – habe ich hier bereits besprochen.
Völlig anders und doch typisch sfar’esque sind die Geschichten rund um den in Vilnius lebenden Vampir Ferdinand und dessen Freunde, eine bunte Schar der aberwitzigsten Gestalten. Diese Gruppe bestehend aus Vampiren, Hexen, Geistern, Baumwesen, Golems und anderen Figuren, die sich scheinbar flüssig in die ansonsten reale Welt einfügen, ist Dreh- und Angelpunkt der verschiedensten kurzen Episoden rund um (die Unmöglichkeit von) Liebe, Freundschaft, Kommunikation, Vertrauen, Särge und Gothic-Punk-Discos.
Erschienen sind die beiden Bände „Vampir“ und „Aspirine“ bei Avant.
Es ist müßig und völlig unnötig, die Plots im Einzelnen anzusprechen – Sfar wirkt weniger durch flüssige Geschichten oder allzu durchdachtes Erzählen, als vielmehr durch spontane Narrative, die so überraschend sein können wie ein irrwitziger, aus dem Nichts auftauchender Werwolf. Ferdinand, der Protagonist, liebt, liebt nicht, sucht nach einer Herzensdame, will dann wieder nicht, ist melancholisch, einsam, aber jedenfalls permanent leicht verwirrt. Seine Ex, das Baummädchen Liane hat ihn mit seinem guten Freund Michael betrogen. Der wiederum sagt Ferdinand, er solle sich nicht so anstellen – klar, dass Ferdinand zum Ausgleich Entspannung bei Aspirine sucht, einer anderen Vampirdame. Aber auch das will nicht so recht klappen. So beginnt „Vampir“, der erste Band, und das soll zum Inhalt reichen. Auch wenn es nicht so klingt – die Geschichten haben Tiefgang.
Jeder der Sfar kennt, weiß das: Hier ist jemand am Werk, der philosophischen Hintersinn nicht zufällig einstreut, nicht glücklicherweise gelegentlich findet, sondern der die Behandlung der „großen Themen“ zum Kern seines Comicschaffens macht – wie scheinbar absurd das Ergebnis auch aussehen mag.
Aspirine, die Namensgeberin des 2. Bands hingegen ist zunächst unsterblich in den blassen Junggesellen Ferdinand verliebt. Hier dreht sich die Perspektive um. Oder Aspirine ist jedenfalls in den Gedanken verliebt, aufgrund des Unsterblich-Verliebtseins schwer zu leiden – ganz genau das ist ihr Ding, ganz genau das wird ihr aber auch nicht klar. Asprine steht in einer permanenten Konkurrenzbeziehung zu ihrer älteren Schwester mit dem pittoresken Namen Ritalina – einer rothaarigen, vollbusigen Premium-Hexe, der die Männer zufliegen (teilweise im wahrsten Sinne des Wortes). Aspirine ist als Untote verdammt, ihr „Leben“ lang 17 Jahre alt zu sein…da hat es die im Alter von 25 gestorbene Ritalina selbstredend auf dem Liebesmarkt etwas leichter. Also leidet Aspirine, und das noch so schön.
Welche Zutat mischt der Zeichner bei, damit dieses Universum „typisch Sfar“ genannt werden kann? Eins ist klar: Sfar ist einer der originellsten zeitgenössischen Zeichner ganz Frankobelgiens. Genau wie sein hochdynamischer, etwas „schmutziger“, scheinbar getriebener, aber immer noch kontrollierter Zeichenstil funktionieren auch seine Geschichten. Die Figuren werden von den sich überschlagenden Ereignissen gehetzt, stolpern von spontanem Einfall zu Einfall, dass es eine Freude ist, beim Lesen gleichzeitig scheinbar mitzubekommen, wie Sfar sein Universum fließend imaginiert. In diesem Zusammenhang hat mir vor allem die Stelle im ersten Band gefallen, in der der Autor die vierte Wand verlässt und mit seinen Figuren – in dem Fall dem Gewissen Ferdinands – interagiert. Da stören auch die Text-Bild-Redundanzen nicht, die so häufig vorkommen, dass ich zu der Ansicht neige, Sfar baue sie ganz bewusst augenzwinkernd ein für Nörgler wie mich.
Fakt ist: Wenn jemand konsequent den Beweis führt, dass die Möglichkeiten des Comics unbegrenzt sind, dann Sfar.
Danke, Joann!