„Obacht! Lumpenpack“ – Kate Beaton bei Zwerchfell

Vorsicht, Hype! Will man objektive Aussagen über Was-Auch-Immer treffen, gilt es, die eigene Euphorie zu bändigen. Nun, das Früher-Webcomic-Jetzt-Cartoonsammlung-In-Halbleinen „Hark! A Vagrant“ von Kate Beaton, etwas hölzern germanisiert in „Obacht! Lumpenpack“, tut alles, um diese Euphorie anzuheizen.

Zum einen wäre da das, was bereits auf den ersten Blick anziehend wirkt: Die bibliophile Ausstattung, die der Zwerchfell-Verlag Frau Beaton und den Lesern spendiert. Rotes Halbleinen, dicke Buchdeckel, festes Papier – mehr braucht das gute Buch rein optisch nicht.

harkavagrantcover

Zum anderen die Autorin: Frau Beaton, die ihre Cartoons immer wieder teils selbstironisch im Buch kommentiert, scheint ebenso unverkrampft zu sein wie ihr Zeichenstil. Auf Twitter folge dem kanadischen Comic-Talent hier, wer mag.

Aber um was, verdammt, geht es dabei eigentlich? Warum laufen Menschen auf der Leipziger Buchmesse selig mit diesem Buch herum und tragen dabei höchst kanadische rote Karohemden?

Es geht um Geschichte, es geht um Literatur, es geht um Henry VIII., um Feldzüge der Wikinger, um Knutschen im Mittelalter, um Fanpost von Jules Verne an Edgar Allen Poe, und es geht um erste Assoziationen bei der Betrachtung alter Buchcover.

 

Man könnte nun schreiben, dass Beaton, selbst Historikerin, „vor keiner historischen Persönlichkeit Halt macht“ oder querbeet durch die Geschichte alles und jeden „durch den Kakao zieht“. Aber das wäre ja einfach, und so ist es auch nicht. Beatons kurze Historien-Cartoons arbeiten gekonnt mit Anachronismen: Da wird der testosteronüberbordende Wikingerhäuptling zum modernen, gezähmten Tagebuchschreiber, der mittelalterliche Autographen „voll schön“ findet. Und der moderne Hipster, der auch in Scharen Kanada unsicher macht, wird en passent auf Normalmaß gestutzt, wenn Beaton zeigt, dass es mit den Incroyables Hipster-Artige schon immer gab.

Mit diesem historisch-amüsierten Blick auf das Heute greift Beaton immer wieder Gender-Fragen auf und erläutert leichtfüßig, wie sterbenslangweilig es für die mittelalterliche Frau gewesen sein muss, ein Leben lang am Webstuhl zu hocken.

 

Viel Licht, ja, aber auch Schatten: Sehr viele Anknüpfungen an kanadische bzw. amerikanische Geschichte, die teilweise bis ins Detail gehen, funktionieren hierzulande bei halbwegs-schulgebildeten Geschichtskenntnissen nur mit Hilfe von Wikipedia. Das ist zu verschmerzen. Was mir weniger gefällt, ist die Auswahl und Anordnung der Strips: Die einzelnen Cartoons sind zumeist solide, manchmal richtig gut, einzelne bisweiligen fantastisch. Aber es gibt keinen roten Faden im Aufbau, keine Chronologie, keine Richtschnur – aus der Vogelperspektive sind die Cartoons ein „Kessel Buntes“, der erst beim Heranzoomen seine Schätze offenbart. Auch hier hätte in puncto Auswahl wohl gegolten: Weniger ist mehr. So zünden treffsicher die Stellen nicht, bei denen es um Superhelden geht. Beatons Stärke ist die Historie, nicht Batman und nicht Wonder Woman. Aber da es sich um eine Lizenzausgabe von Drawn&Quarterly handelt, kann man Zwerchfell hieraus keinen Vorwurf machen.

 

Dennoch: Ich habe sehr lange keinen so erfrischenden Umgang mit geschichtlichen Themen mehr gesehen wie bei Kate Beaton. Die Zeichnerin bedient sich gerade nicht der Grunddynamik des historischen Humors. Sie macht sich nicht im Kontrast zur Gegenwart über die Vergangenheit lustig.

Bei Beaton ist es genau andersherum.