Künstlerbiographie: “Pablo”

“Das einzige, was ich in meinem Leben bedauere, ist, keine Comics gezeichnet zu haben.” – Picasso

Nachdem ich mich mit den Comicbiographien von Edvard Munch und Marc Chagall befasst habe, darf natürlich der von vielen als größter Maler aller Zeiten angesehene Pablo Picasso nicht fehlen. Da kommt es gerade recht, dass bei Reprodukt die bisher zweibändige “Pablo”-Reihe von Clément Oubrerie und Julie Birmant erscheint. Zwei weitere Bände sind in Vorbereitung.

Was macht eine gute Künstlerbiographie aus? Soll es mehr um den Künstler an sich gehen oder mehr um dessen Bilder?

Geht es nach der Szenaristin Birmant, steht ganz klar die Lebensgeschichte Picassos im Vordergrund. Anders als Steffen Kverneland, der auf kongeniale Weise versucht hat, die Lebensentwicklung Munchs mit dessen künstlerischem Fortkommen zu verknüpfen, legt Birmant den Fokus ganz eindeutig auf Picassos Leben. Seine Bilder sieht man selten. Aber schmälert dieser Ansatz das Werk? Keineswegs: Picassos Bilder sieht man sich am besten im Museum an oder zumindest in einem großformatigem Bildband.

Das Comic erzählt die Lebensgeschichte Picassos dabei nicht direkt aus Picassos eigener Perspektive, sondern wählt als Erzählerin Picassos bekannteste Muse, Fernande Olivier. Darüber hinaus bildet eine weitere, zur jeweiligen Zeit wichtige Person aus Picassos Leben den Schwerpunkt der bisher zwei Bände: In Band 1 lernen wir Max Jacob kennen, den homosexuellen Dichter, der sich Hals über Kopf in Picasso verliebt und diesem in künstlerisch schweren Zeiten Mut zuspricht. In Band 2 macht uns die Autorin mit Guillaume Apollinaire bekannt, einem weiteren Freund Picassos, ohne den dessen Entwicklung zum Vordenker der modernen Malerei wohl nicht möglich gewesen wäre.

Und die Technik? Farben, Formen, Strich und Licht? In zwei Worten: Vom Feinsten. Meiner Meinung nach sind die Zeichnungen und vor allem auch die Farben, der Einsatz von Licht und Schatten, das Beste an diesem Comic. Birmant schreibt gut, aber Oubrerie zeichnet noch weitaus besser. Ich freue mich bei der ganzen Flut an Schwarzweißcomics stets über Geschichten, die farbenfroh daherkommen, ohne kitschig zu sein. Genau dies ist hier der Fall: Optisch ist “Pablo” ein Hochgenuss. Oubrerie gelingt es, nicht nur Pablo Picasso, sondern auch das Paris kurz nach der Jahrhundertwende zum Leben zu erwecken.

Wer sich für Kunst interessiert, sollte “Pablo” auf jeden Fall lesen. Wer in Sachen Kunstgeschichte noch ganz am Anfang steht und sich diesem Thema über das Medium Comic annähern will, der sollte ebenfalls zu “Pablo” greifen, denn im Vergleich zu “Munch” oder “Chagall in Russland” ist Pablo etwas zugänglicher. “Pablo” bietet dabei alles, was eine gute Biographie einer bekannten Persönlichkeit mit einem bewegten Leben braucht: Drama, Liebe, Sex, Verlust, Leid, Freude, Aufstieg und Fall.

Ich freue mich sehr, im dritten Band erneut mit Picasso nach Paris zu reisen.

Hölle, Hasen, Herzschmerz

“Die Hölle, das sind die anderen”
– Sartre, Geschlossene Gesellschaft

Anlässlich des kürzlich allseits dank Fleurop euphorisch begangenen Valentinstages habe ich zwei frisch bei Reprodukt erschienene Comics gelesen, die beide die vertrackten Untiefen der Liebe auszuloten versuchen. Simpsons-Schöpfer Matt Groening macht sich ebenso Gedanken über das komplizierteste Gefühl des Menschen wie der junge französische Comicautor Bastien Vivés.

Ist Liebe…

Vivés Büchlein mit dem schlichten Titel “Die Liebe” kommt harmlos daher, hat es aber in sich: Selten habe ich ein Buch gelesen, dass sich der Beziehung zwischen Liebenden derart schwarzhumorig nähert.

Vivés spannt in kurzen Episoden einen Bogen über die verschiedensten Themen, die sich um die Liebe ranken: Beispielsweise die wichtige Frage, ob ein Pärchen einen guten Freund bitten kann, mit der Frau in den Swingerclub zu gehen. Oder die Frage, ob nicht die Nutzung eines vorgefertigten Fragebogens beim ersten Date vieles erleichtern würde. Häufig werden die Fragen aufgeworfen, aber nicht beantwortet – was im Ergebnis auch nicht möglich ist, muss doch jeder selbst seine Erfahrungen mit dem absonderlichen Ding namens Liebe machen. Aber: Fragen schaffen Erkenntnis. Bei seiner Analyse, die insgesamt mehr mit Sex als mit Liebe zu tun hat, zeichnet sich Vivés gelegentlich auch selbst in die Panels, beispielswiese im wunderbar pathosüberladenen Gespräch mit seiner Frau. Dadurch entsteht ein Panorama an Kleinstepisoden, die allesamt einen jeweils anderen Aspekt von Liebe, Sex, Beziehung und Vertrauen thematisieren. Dabei nutzt Vivés einen extrem reduzierten Strich und entwirft nur mit wenigen Details wunderbar dynamische Panels.

Das Beste an Vivés lesenswertem Büchlein steht jedoch direkt am Anfang: Die Widmung, die da lautet: “Für die ganzen Frauen, die mich kaputt gemacht und mit meiner Verzweiflung allein gelassen haben, um ein armseliges und belangloses Leben zu führen, das ich mir heute auf ihrem Facebook-Profil ansehen kann.”

…die Hölle?

Ganz anders Groening: Neben ebenfalls einfach gehaltenen, aber sehr viel cartoonhafteren Zeichnungen lebt Groenings “Liebe ist die Hölle” stark vom Text. Dabei müssen die Hasen Binky, Bongo und Sheba, die durch ihre und unser aller persönliche Hölle – den Alltag – wuseln, als Beispiele für keinesfalls funktionierende Liebesbeziehungen jedweder Form herhalten.

Groening spricht den Leser direkt an und gibt Ratschläge, wie man in der Liebeshölle besteht. Dabei werden die Vor- und Nachteile freier Liebe (Vorteil: “Flüchtige Momente der Ekstase”, Nachteil: “Scheußliche Infektionen”) ebenso angesprochen wie die 22 Stadien des gebrochenen Herzens. Groenings Cartoons stammen aus seiner Reihe “Life in Hell”, die er 1978 startete, und bei “Liebe ist die Hölle” handelt es sich um eine themenbezogene Sammlung daraus. Die meisten Cartoons sind von 1982-1984, und wenngleich ein Thema wie die Liebe scheinbar zeitlos ist, merkt man dem Humor ein ganz klein wenig an, dass er etwa 30 Jahre alt ist. Groenings Cartoons nehmen – auf äußerst gelungene Weise – die klassische Ehe aufs Korn. An dieser Stelle geht Vivés weiter, ist im Humor derber und in den Themen expliziter.

Dennoch ist auch Groenings “Liebe ist die Hölle” unbedingt lesenswert. “Kann die Liebe obsiegen?”, fragt Groening. Die Antwort gibt er selbst: “Aber ja. In manchen Werbespots und in gewissen naiven Comics.”

Fazit: Ja!

Wer hier eine ernste Auseinandersetzung mit dem Thema zwischenmenschlicher Liebesbeziehungen erwartet, liegt komplett daneben. Dafür fangen Vivés und Groening beide all die Absonderlichkeiten ein, die dieses große Thema umgeben, spielen mit Klischees und ironisieren sich wunderbar durch Liebe, Sex und Zärtlichkeiten. Dabei wirkt Groening wie das klassische Original, Vivés wie ein modernes Update. Das Rätsel der Liebe können beide nicht lösen. Zum Glück.

Suchender des Kicks

Manu Larcenet – BLAST Nr. 1: Masse

Polza Mancini wird verhaftet. Ein Riese, “geformt aus Fett und enttäuschten Hoffnungen”, wie es im Klappentext heißt. Ihm wird ein Gewaltverbrechen an einer Frau vorgeworfen. Da die Beweislage bereits erdrückend ist, haben die Ermittler Zeit. Zeit, die sie nutzen wollen, um den Menschen Polza zu verstehen. Die genauen Umstände des Polza zur Last gelegten Verbrechens bleiben während des gesamten Comics unklar. Mit dem Verhör des Beschuldigten beginnt die Geschichte. Und diese hat es in sich.

Masse” ist der Name des ersten Teils von “BLAST”, einer mehrbändigen, auf deutsch bei Reprodukt erscheinenden Reihe des französischen Autors und Zeichners Manu Larcenet. Mittlerweile ist bereits der zweite Band erschienen, der dritte ist in Vorbereitung.

Polza nimmt sich gegenüber den Polizisten Zeit, seine Geschichte zu erzählen. Es ist die Geschichte eines Niedergangs: Der schwerst adipöse Protagonist ändert nach dem Tod seines Vaters radikal sein Leben, gibt seine bürgerliche Existenz als verheirateter Kochbuchautor auf und zieht, bepackt mit Unmengen von Alkohol, in den Wald. Warum tut er dies? Wegen des BLAST.

Was zur Hölle ist der BLAST? Das versucht der Leser ebenso herauszufinden wie die beiden Polizisten beim Verhör, das die Rahmenhandlung darstellt. Der BLAST scheint ein Moment höchster Erleuchtung, größten Glücks und tiefster innerer Ruhe zu sein, den Polza kurz nach dem Tod seines Vaters erlebte und dem er nun nachjagt. Immer wieder wird die rückblickende Erzählung von Polza unterbrochen und der Leser wird zurück in die Amtsstube geholt, wo sich die Polizisten über Polzas Geschichte wundern: Sie glauben ihm kein Wort. Er kleidet seine Ausführungen über den Sinn seines Aussteigerdaseins in philosophische Gedanken, die er auch noch elegant zu verpacken versteht. Genau in dem Moment, in dem der Leser beginnt, Polza zu verstehen und in dem die Sympathie für den ebenso traurigen wie tiefgründigen Riesen anschwillt, versteht es Larcenet, die Geschichte zu brechen und dem Leser den Boden unter den Füßen wegzuziehen: Die Polizisten konfrontieren Polza immer wieder mit Widersprüchen seiner Geschichte – und seine Biographie bekommt Risse. Der Leser weiß nicht, wem er glauben soll, und all dies vor dem Hintergrund der Schatten des diffusen Gewaltverbrechens und des ebenso unklar bleibenden BLAST-Erlebens.

Dies ist die Mélange, aus der Manu Larcenet ein starkes Album geschaffen hat. Die Umsetzung dieser Geschichte steht dem in nichts nach: Larcenet nutzt einen grafischen Stil, der mir so noch nicht untergekommen ist. Eine schwarzweiße Mischung aus Kohlezeichnung und schattenartigem Aquarell, die die dutzenden Zwischentöne der Melancholie, die Polza erlebt und schildert, einfängt und konserviert. Die Körper sind verformt, die Nasen zu lang, die Extremitäten unförmig – alles ist eine Spur absurd; einen guten Schuss Ironie hat Larcenet auch hinzugefügt. Der BLAST, das epiphaniegleiche Erweckungserlebnis, reiht sich in die schwarzweiße Melancholie durch fröhliche Buntstiftzeichnungen ein – die von zwei Mädchen, Lille und Lenni (den Kindern des Autors?) gezeichnet wurden.

All das macht Lust auf Mehr, als ich den ersten Band durch hatte, war ich enttäuscht, mir nicht auch noch den zweiten besorgt zu haben. “BLAST” ist definitiv lesenswert: Eine Geschichte, deren Maß an Originalität vieles andere aus den letzten Jahren in den (aquarellartigen) Schatten stellt.

Manu Larcenet – BLAST Nr. 1: Masse
Reprodukt 2012, 204 Seiten, 29 EUR