Auftakt zur Millennium-Trilogie

Irgendwann war ich es leid.

Vor ein paar Jahren gab es einen Zeitraum  von einigen wenigen Monaten, in denen alles voll war damit: Millennium-Bücher, Millennium-Filme, Millennium-Serie, Stieg-Larsson-Biographien, Lisbeth-Salander-T-Shirts. Das war ungefähr der Zeitpunkt, als ich, gerade auf der Hälfte des finalen Teils der Trilogie, ein wenig entnervt abbrach. Ja, ich gebe es zu: Ich habe die Trilogie nicht beendet. Irgendwann war die Luft raus.

Später dann habe ich mich ertappt, wie ich häufiger über die Motive der Millennium-Bücher nachdachte. Ich sah Frauen auf der Straße, stilistisch irgendwo zwischen Punk, Emo und Einfach-Nur-Kaputt angesiedelt, aber mit klugen Augen, und ich dachte: Könnte Lisbeth Salander sein. Als sich in den Medien Geschichten über die Ermordung russischer Oppositioneller durch vermeintliche Ex-KGB-Spione mehrten, dachte ich erneut an die Trilogie. Wenn ich getrocknete Blumen sehe, denke ich als erstes an Henrik Vanger.

Irgendwas war hängen geblieben.

Als ich dann hörte, dass Splitter eine Comicadaption der Millennium-Trilogie herausbringt, war somit klar, dass ich zugreifen musste. Mein Lieblingsband der Trilogie war immer der 1. gewesen, “Verblendung”, wie er auf deutsch heißt. Voller Erwartung begann ich somit die Lektüre des 1. Bandes der Serie, die bei Splitter auf 6 großformatige Hardcover-Bände angelegt ist. Um eins klar zu machen: Ich spreche nicht von der mehr oder weniger parallel erscheinenden Millennium-Adaption von Vertigo. Bei Splitter bedient José Homs die Stifte und Sylvain Runberg die Worte und, ich sage es vorweg: Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

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Die Erzählstruktur ist solide und nah am Roman. Die Chronologie wird beibehalten, die Dialoge sind stimmig und es gibt keine Experimente, bis auf eines: Bereits von Anfang an sieht man in wortlosen Panels oder Splashpanels das Martyrium der – Vorsicht, leichter Spoiler1 – in der Vergangenheit oder Gegenwart entführten Mädchen. Das verwirrt zunächst, wenn sich in den Lesefluss der Geschichte plötzlich die verschreckten, Todesangst ausstehenden Augen eines Entführungsopfer drängen. Noch weiß man gar nichts damit anzufangen. Doch genau das heizt auch die Spannung an, und mangels spezifischen charakterlichen oder emotionalen Tiefgangs ist es vor allem die reine Spannung, von der Larssons Buchvorlage und damit auch das Comic lebt. Aber genau darin gibt es wenige Thriller, die mit “Millennium” gleichziehen könnten. Erzählerisch gut umgesetzt, mit wenigen, aber wenn dann interessanten neuen Akzenten (man sieht Salander mit ihrer Ex-Band, die im Buch nur ganz am Rande vorkommt), sind es jedoch vor allem die Zeichnungen, die die Stärke des Comics darstellen.

Homs pflegt einen Stil, der mir so noch nicht untergekommen ist. Relativ realistische, aber nicht überkorrekte Zeichnungen, insbesondere der Hintergründe, verbinden sich mit Darstellungen der Personen, insbesondere ihrer Köpfe, die Ihresgleichen suchen: Schräge Proportionen und Körperformen, die anatomisch…sagen wir fragwürdig sind. Klingt mittelmäßig, ist es aber nicht – bisher habe ich keinen Zeichner gesehen, der die Vielgestaltigkeit menschlicher Physiognomien derart vielseitig umzusetzen weiß. Jeder Charakter ist so einzigartig wie es die Schauspieler in einem Film wären. Zeichnerische Platitüden finden nicht statt, wenngleich Homs einige Male nah dran ist, den Bogen zu überspannen. Aber der Schuss sitzt dennoch, um in der Metapher zu bleiben.

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Abgerundet wird dieser visuell höchst ansprechende Eindruck von den Farben: Das Comic ist von einem Licht durchzogen, dass nie wirklich realistisch ist, immer einen hauch zu präsent, aber dafür umso plakativer da, wo es plakativ sein muss und umso subtiler da, wo leise Töne gefragt sind. Die Farben, die Illumination der Zeichnungen sind somit schlussendlich im Verbund mit den vorgenannten Punkten der Grund, warum ich – nicht nur für ausgekochte Larsson-Fans – das Comic jedem empfehle, der einen spannenden und grafisch starken Thriller sucht.

1Die Spoiler-Warnung ist Thomas Wellmann gewidmet.

Medialer Mix: Drei Mal “Game of Thrones”

“Das Lied von Eis und Feuer” oder “Game of Thrones” (was beides den gleichen Stoff betrifft, um direkt mal das erste Missverständnis auszuräumen) ist momentan in aller Munde.

Grund genug für mich, mir einmal alle drei Spielarten dieses grandiosen Fantasy-Epos von George R. R. Martin (GRRM) genauer anzuschauen. Dabei soll es weniger um den Inhalt gehen: Vor allem um Neulingen in Martins Welt nichts wegzunehmen, aber auch, da die meisten ohnehin schon eingefleischte Fans sein dürften. Vielmehr ist interessant, dass der selbe Stoff in drei verschiedenen Medien – Buch, Comic und Film – behandelt wird. Und das mit zeitlichen Überschneidungen, während bei dem Grundwerk, also den Romanen, noch weitere Bände in der Mache sind.

Das Buch: “Das Lied von Eis und Feuer”, erster Band erschienen 1996

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GRRM begann mit dem Verfassen von “Das Lied von Eis und Feuer”, dessen erster Band “Game of Thrones” lautet, im Jahre 1991. 22 Jahre später gehört das Epos zu den unbestrittenen Genremeisterwerken, dessen Bände regelmäßig die Bestsellerlisten dies- und jenseits des Atlantiks anführen und das in eine höchst erfolgreiche TV-Serie überführt wurde, für die vor Kurzem die 4. Staffel in Auftrag gegeben wurde.

Die Bücher sind meiner Meinung nach deshalb so lesenswert, weil sie etwas schaffen, das es in dieser Güte nur ganz selten gibt: Charaktere, die weder eindeutig zum “Guten” oder “Bösen” zu rechnen sind (jedenfalls in den meisten Fällen), sondern die sich schlicht und ergreifend nachvollziehbar im Rahmen des Plots bewegen. Mit beeindruckender Zuverlässigkeit schafft es Martin dadurch, dass der Leser immer wieder überrascht wird – man kann schon fast vorhersagen, dass etwas gerade so geschehen wird, wie man es auf keinen Fall erwartet. Und selbst dann kommt es anders, ohne jemals künstlich oder allzu gewollt zu wirken. Niemand bei “A Song of Ice and Fire” (ASOIAF) ist sicher, jeder kann sterben, und GRRM zelebriert es gar genüsslich, regelmäßig seine Hauptcharaktere im wahrsten Sinne des Wortes einen Kopf kürzer zu machen. Wer denkt, dass diese dann in einer Art billigfantasyartiger Erweckungszeremonie 30 Seiten später wieder auftauchen, wird (zum Glück) enttäuscht.

Besonders interessant an der Reihe, die Nerds wie selbsternannte Hochkulturfeuilletonisten gleichermaßen erfreut, ist die Erzählstruktur: Jedes Kapitel wird aus der Sicht eines Point-Of-View-Charakters erzählt. Das bedeutet, dass alle Informationen, die der Leser erfährt, stets durch die Augen eines oder mehrerer Charaktere gefiltert sind, sodass es keine Sicherheiten gibt. Ereignisse, die als sicher angenommen wurden, weil jemandem davon erzählt wurde, können durch eine spätere, dann wahre Erkenntnis der Charaktere wieder völlig negiert werden. Nichts ist sicher, alles kann passieren, jeder kann sterben. Das macht den Reiz der Bücher aus, die mit Abstand das spannendste und detailreichste Epos darstellen, das ich bisher gelesen habe.

Die Serie: HBOs “Game of Thrones”, Staffel 1 erschienen 2011

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GRRM verfügte bereits bei Beginn seiner Arbeit an ASOIAF über Erfahrungen im Bereich des Fernsehens, unter anderem durch seine Mitarbeit an “Twilight Zone”. Daher lehnte er es von Anfang an ab, sein Epos in einem oder mehreren Filmen verarbeiten zu lassen. Jeder einzelne der Bände, von denen bisher fünf erschienen sind, ist in etwa so umfangreich wie der “Herr der Ringe”, sodass ein Film oder selbst eine Trilogie dem Stoff keinesfalls gerecht werden würden. In einem Interview sagte GRRM zu den dutzenden Anfragen bezüglich eines Kinofilms einmal: “’No’ is the sexiest word in the english language.” Gut, dass er hart geblieben ist. Nur eine Serie im Umfang von Game of Thrones, entwickelt von einem hochprofessionellen Publisher wie HBO, die keine Kosten und Mühen scheuen und Raum für Charakterentwicklung lassen, notfalls auch über einzelne Staffeln hinweg, kann den Geist der Vorlage einfangen.

Und das gelingt der Serie hervorragend: Der Spirit der Bücher wird eingefangen. Man fühlt sich gleich wieder heimisch in Westeros, der mittelalterlichen Welt, in der alles spielt. Und das, obwohl es einige nicht unerhebliche Veränderungen zur Vorlage gibt: Manche Charaktere werden neu eingeführt, die es im Buch nicht gibt, viele andere werden weggelassen. Das ist größtenteils sicherlich auch notwendig, da “Das Lied von Eis und Feuer” mittlerweile über 1000 Charaktere aufweist. Allerdings entsteht dadurch eine Art Domino-Effekt: Jede inhaltliche Veränderung der TV-Serie zieht zwingend andere Auswirkungen auf den Plot nach sich, sodass Serie und Vorlage notwendigerweise immer weiter auseinanderdriften. Bisher tut dies der Serie aber noch keinen Abbruch.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Frage, wer eigentlich wen beeinflusst: Natürlich bilden die Bücher die Vorlage für die Serie, aber da Martins Werk noch nicht abgeschlossen ist, könnten noch so subtile Teilbereiche der hoch erfolgreichen Serie – inhaltliche Veränderungen, Charakterzeichnungen, Dialoge und Ähnliches – Martin beim Schreiben der noch kommenden zwei Bände beeinflussen. Verständlicherweise graut es Martin auch und vor allem davor, mit dem nächsten Buch nicht fertig zu sein, bevor die Serie inhaltlich zu den Büchern aufgeschlossen hat. Und da Martin leider Gottes ein extrem langsamer Schreiberling ist, ist diese Option durchaus realistisch.

Das Comic: „Game of Thrones – The Graphic Novel”, Bantam 2012

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Comics zählen zu Martins Lieblingslektüre, wie er in verschiedenen Interviews betonte. So verwundert es nicht, dass aus Martins Opus Magnum kurzerhand auch eine monatlich erscheinende Comicserie gemacht wurde. Leider muss ich hier sagen: Anfangs war ich mehr als skeptisch. Ich habe das Teil durchgeblättert und sah Catelyn, einen meiner Lieblingscharaktere, als anorexes Magermodel gezeichnet. Zudem weisen die Augen der Charaktere allesamt etwas Mangahaftes auf, sprich andeutungsweise große Augen und Stupsnäschen. Okay, vielleicht werde ich dem Zeichner Tommy Patterson damit nicht gerecht. Aber mein subjektiver Eindruck war anfangs höchst negativ.

Aber: “The proof of the pudding is in the eating”. Daher kaufte ich mir die Graphic Novel dennoch, auch da die Hardcover-Ausgabe des Bantam Verlags im Gegensatz zur deutschsprachigen Publikation hervorragend verarbeitet zu sein schien. Und siehe da: Aufgrund des enormen Detailreichtums der Zeichnungen und aufgrund der grandiosen Kolorierung fällt einem die Eingewöhnung an Pattersons Zeichenstil dann doch relativ leicht.

Die Übertragung des Stoffs in das nunmehr dritte Medium – Comic – interessierte mich vor allem, sodass ich ohnehin primär diesem Umstand Gewicht beimaß. Ich wurde nicht enttäuscht: Der Szenarist Daniel Abraham macht einen sehr guten Job und schafft es, ein gigantisches Epos wie ASOIAF so in die Comicform zu übertragen, dass genau das geschieht, was das Medium Comic stark macht: Die Informationen werden primär durch die Bildfolge überbracht, Text gibt es nur für Dialoge und ansonsten nur in aller Sparsamkeit. Beides, Text und Bild, sind in der GoT-Graphic Novel sehr lesenswert verwoben, sodass man als Fan auf keinen Fall enttäuscht wird.

GRRM arbeitet eng mit Abraham und Patterson zusammen. Dabei ergriff er die Gelegenheit, die Aspekte der TV-Serie, die ihm nicht gefallen haben, in dem anderen grafischen Medium auszubügeln: Wie man im Dokumaterial des 1. Bandes erfährt, wies GRRM den Zeichner Patterson beispielsweise an, den Eisernen Thron – Objekt der Begierde aller am Spiel der Throne Beteiligten – ganz anders darzustellen als in der Serie.

Somit scheint am Ende der Comic, auch aufgrund des Wegfalls der finanziellen und zeitlichen Beschränkungen einer TV-Serie, also aufgrund der dem Medium Comic ureigenen unbegrenzten Möglichkeiten, dem Original weitaus näher zu kommen als die TV-Adaption.

Was egal ist, denn: Alle drei Spielarten des epischen Stoffs machen großen Spaß. Gönnt es Euch!

Triplerezension: Fahrenheit 451

“Das Mädchen? Ein Zeitzünder. […] Es wollte nicht wissen, wie etwas gemacht wird, sondern warum. Das kann ungemütlich werden.”

In den letzten Tagen habe ich zum einen die Science-Fiction-Erzählung “Fahrenheit 451” des letztes Jahr verstorbenen amerikanischen Science-Fiction-Autors Ray Bradbury (1920-2012) gelesen, zum anderen die grafische Adaption des Stoffes von Tim Hamilton als Graphic Novel. Da ich das Buch mithin endlich gelesen hatte, stand mir nun auch die filmische Umsetzung von Francoise Truffaut offen. Genug unterschiedliche mediale Verarbeitung des gleichen, heute als klassisch zu bezeichnenden Stoffes, um ein paar Zeilen dazu loszuwerden.

Der Ursprung: Bradburys Fahrenheit 451 von 1953

Fahrenheit 451 Prosa

In einer nicht näher datierten Zukunft, die allerdings so weit entfernt nicht sein kann, sind glücklicherweise alle Häuser vollkommen feuerfest. Daher hat die Feuerwehr die im Gegensatz zu ihrer früheren Aufgabe nicht minder ehrenwerte Tätigkeit übernommen, Bücher zu verbrennen. Bücher, Sie, geneigter Leser, wissen schon, das sind diese teils etwas muffig riechenden, oftmals vergilbten alten Dinger, die meist in den unaufgeräumten Wohnstuben weltfremder Spinner rumstehen und von denen ohnehin allzu frivol-freigeistige Gedanken ausgehen, die einem wohlgeordneten Gemeinwesen nur schaden können.

So jedenfalls lautet die herrschende Meinung der Gesellschaft in Bradburys großer dystopischer Zukunftsvision. Der Protagonist, der den meiner Meinung nach hervorragend gewählten Namen Guy Montag trägt, ist Feuerwehrmann und liebt es, mit dem Kerosinschlauch ganze Bibliotheken zu vernichten. Spätestens jedoch als er ein Mädchen aus der Nachbarschaft kennen lernt, das “17 Jahre alt und nicht ganz bei Trost” ist, Clarisse McClellan mit Namen, beginnt er, sich von seinem früheren Denken zu emanzipieren. Clarisse setzt durch ihre unbekümmerte Art, die Dinge wie ein Kind zu sehen – naiv, gleichzeitig alles hinterfragend, neugierig, jovial und ohne Angst vor Emotionen – einen Prozess in Gang, der das Leben von Montag auf den Kopf stellt. Er beginnt, den Kampf gegen eine Gesellschaft aufzunehmen, in der jedes freie Denken verpönt, jeder Gedanke über komplexe zwischenmenschliche Beziehungen anrüchig und jede Individualität absonderlich ist. Am Ende, das in Form einer großen Phönixmetapher erzählt wird, ist es das prometheische Feuer, das die Gesellschaft – rettet? Zumindest verändert. Man weiß es nicht, viele Fragen bleiben in dieser Dystopie offen.

Mir hat “Fahrenheit 451” großen Spaß gemacht. Ich habe viele Jahre keine Science-Fiction mehr in Buchform gelesen, und die Lektüre von Orwells “1984”, mit dem Fahrenheit 451 oftmals verglichen wird, liegt ebenfalls ein paar Jahre zurück. Daher habe ich beinahe vergessen, was mir entgangen ist. Bradbury vermittelt einen hochrealistisch anmutenden Blick in eine Zukunft, die von Ignoranz geprägt ist. Der springende Punkt dabei ist, dass es in Fahrenheit 451 (im Gegensatz zu Orwells 1984) nicht der allmächtige Staat ist, der die Menschen unterdrückt. Es sind die Menschen selbst. Die schleichende Verdummung durch stete kulturelle Erosion, von Bradbury als beginnend mit dem Massenmedium Fernsehen diagnostiziert, führte schließlich zu einer Gesellschaftsform, in der Gleichförmigkeit und Gedankenlosigkeit vorherrschen. So sagt auch der verzweifelte Intellektuelle Faber im Buch: “Die Leute haben von selber aufgehört zu lesen.”

Einige von Bradburys Visionen haben sich bewahrheitet: Die unerlässlich Fernsehen (im Buch in Form von gigantischen TV-Wänden) schauende Ehefrau von Montag beispielsweise existiert, wie zu befürchten steht, in ähnlicher Form millionenfach. Glücklicherweise sind andere Entwicklungen, die Bradbury in seinem Buch, das er ursprünglich dezidiert als Kritik am neuen Medium Fernsehen verstand, nicht eingetreten. Das Internet, ebenfalls ein Massenmedium par excellence, führt zu einer Stärkung menschlicher Autonomie und zur gesellschaftlichen Demokratisierung.

Dennoch halte ich Fahrenheit 451 nach wie vor für relevant. Im Zentrum des Werkes steht das Medium Buch und die Gefahren, denen es ausgesetzt ist. Dass auch heutzutage ein schleichender Prozess gegeben ist, bei dem das Buch als Medium und die bildende Literatur an sich an Wichtigkeit verlieren, mögen bibliophile Unkenrufe sein; ich halte diesen Prozess (nicht nur) mit Blick auf das Angebot so manches “Buchriesen” ganz persönlich für leider unbestreitbar. Hoffentlich kein Kassandraruf an dieser Stelle.

Fazit: Fahrenheit 451 gehört zu den ganz großen Science-Fiction-Werken und muss den Vergleich mit 1984 oder Huxleys “Schöne neue Welt” nicht fürchten. Gerade für Bücherfreunde ein wahrer Horrortrip, der zu lesen sich jedoch allemal lohnt.

Der Film: Truffauts Adaption von 1966

Filmische Kunstbanausen würden sagen: Dies ist ein Film, der wirklich Spaß macht, obwohl er beinahe fünfzig Jahre alt ist. Anders herum geht die Rechnung jedoch auf: Gerade, weil der Film kurz nach dem Buch entstanden ist und damit den gleichen Geist, die gleiche latente Besorgnis um die Möglichkeiten und Gefahren einer gesellschaftlich-kulturellen Vermassung mitaufnimmt, ist Truffauts Arbeit hochgradig stimmig.

Der österreichische Charakterdarsteller Oskar Werner mimt einen anfangs defätistischen und später emanzipierten Guy Montag mit einer seltenen Brillanz. Setting und Musik fügen sich ein in ein Werk, das sich stark von der literarischen Vorlage löst, jedoch auf eine Weise, die den Ton des Stoffes immer trifft und um weitere passgenaue Aspekte erweitert.

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Die seltenen “Special-Effects” sind liebevoll gemacht und für die damalige Zeit wahrscheinlich eindrucksvoll. Die Wahl der Locations hat mir besonders gut gefallen, wird das Futuristische, das bei Bradbury nur angedeutet wird, doch auch bei Truffaut stets subtil aufgezeigt. Damit bewahrt der Regisseur die beängstigend-realistische Note nicht nur auf der Ebene der Handlung, sondern auch auf der der Drehorte.

Truffaut ist heute kein effektheischendes “Großes Kino” mehr und war dies auch nie. Dennoch belohnt dieser Film jeden, der ihn anschaut, mit seiner kühlen Analyse einer degenerierten Zukunftswelt.

Das Comic: Tim Hamiltons Graphic Novel von 2010

Tim Hamilton, der Bradburys Vorlage ins 21. Jahrhundert holte, wurde im gleichen Jahr geboren, in dem Truffaut Fahrenheit 451 verfilmte. Nun also ein Comic aus dem gleichen Stoff, zu einer völlig anderen Zeit. Ich war gespannt.

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Das auf deutsch in der Edition Büchergilde erschienene Werk ist eine Hardcover-Ausgabe – und bereits darin liegt mein erstes Lob. Warum nicht öfter gebundene Ausgaben, auch bei Comics? Die Fangemeinde ist treu und dürfte auch vor ein paar mehr Hardcoverwerken finanziell nicht zurückschrecken. Hamiltons Cover ist stark, sowohl das des Umschlags als auch das des eigentlichen Buchs.

Hamilton, der hier als (adaptierender) Szenarist und Zeichner auftritt, hielt sich sehr stark an der Vorlage, bis hin zu häufig identischen Dialogen. Dies tut dem Werk keinen Abbruch, da Hamilton sich gleichzeitig an dem Kunststück versucht, sich selbst und seiner Schöpfung genug künstlerische Beinfreiheit zu lassen. Zwar nicht durch narrative oder inhaltliche Änderungen, aber durch großartige Zeichnungen und vor allem durch eine höchst gelungene Koloration.

In vor Kontrast nur so strotzenden film-noir-artigen Zeichnungen verwendet Hamilton eine Farbgebung, die von Sepiatönen bis hin zu gleißenden Feuerfarben reicht und immer den richtigen (Farb)ton trifft. Durchgehend nutzt Hamilton dabei eine Art “Panel-über-Splashpanel”-Technik, bei der eine über die gesamte Seite reichende Zeichnung unter den eigentlichen Panels hindurchscheint und diese inhaltlich und farblich ergänzt. So konsequent habe ich dies bisher bei noch keinem Comic gesehen.

Farblich und zeichnerisch sehr stark, inhaltlich solide. Leichte inhaltliche Veränderungen und Neuinterpretationen, wenngleich auch nur in Details, hätten dem Werk jedoch gut getan. Unterm Strich definitiv lesenswert.