Nautik und Narzissmen – Comicadation “Der Seewolf”

“Das triumphierende und sadistische Lächeln Larsens entfachte in mir eine unbändige Wut. Im Zwischendeck mit einem Gewehr in der Hand stehend, hörte ich einen Ruf erschallen.”

Abenteuerromane, Western, Seefahrergeschichten – all das war noch nie meine Sache. Robinson Crusoe gefiel mir nicht besonders, Westernfilme schalte ich nach 5 Minuten ab und um Robert Louis Stevensons Schatzinsel schipperte ich geflissentlich drum herum. Freunde wurden nicht müde, mich dezent darauf hinzuweisen, dass mir große Romane der Weltliteratur und viele Stunden an Lesevergnügen entgingen, sollte ich diese Abneigung weiterhin pflegen. Also wählte ich einen Mittelweg und näherte mich dem Abenteuerroman durch das Medium Comic.

Jack London veröffentlichte seinen bekanntesten Roman “Der Seewolf” im Jahre 1904. Letztes Jahr erschien bei SPLITTER die Comicadation des Stoffes durch den französischen Zeichner und Szenaristen Riff Reb’s (ja, der Apostroph muss dahin, warum, erschließt sich mir auch nicht). Wie gewohnt in der hohen SLITTER-Qualität gehalten, fallen bei diesem Comic als Erstes der feste Bucheinband und das Hochglanzpapier auf. Direkt nach dem Start der Lektüre wird jedoch klar, dass Zeichnung und Geschichte weit über eine schöne Fassade hinausgehen.

seewolf

Humphrey Van Weyden, seines Zeichens schöngeistig-intellektueller Literaturkritiker, hauptsächlich jedoch von Beruf Sohn, erleidet bei einer Passage in der Nähe von San Francisco Schiffbruch und wird von dem Robbenschoner “Ghost” aufgenommen. Dort herrscht das diktatorische Regiment des Kapitäns Wolf Larsen, der aufgrund seiner hohen Intelligenz und vor allem aufgrund seiner fast schon unnatürlichen Körperkraft und Ausdauer die Mannschaft in permanente Demütigungen hüllt, wobei er jede sich regende Neigung zur Meuterei im Keim zu ersticken weiß.

Für ein Szenario wie dieses nicht geschaffen, bleibt Van Weyden, von der Schiffsbesatzung schikaniert oder bestenfalls ignoriert, nichts anderes als die Resignation. Bis er schließlich entdeckt, dass Wolf Larsen neben dem wölfischen auch noch ein humanes Element in sich trägt: Das Monster von Kapitän liebt Bücher, Mathematik und philosophische Diskurse. Van Weyden, der idealistische Humanist, schafft es allmählich, den überzeugten Nihilisten Larsen ein Stück weit für sich zu gewinnen. Dann, einige Gewaltexzesse des Kapitäns und einige philosophische Gespräche zwischen Kapitän und Van Weyden später, zieht der Sturm auf, und das eigentliche Drama beginnt.

Ein Comic zu lesen, das auf einer literarischen Vorlage beruht, die ich nicht gelesen habe, ist eine ganz neue Erfahrung: Beim Lesen habe ich permanent gedacht: “Wie hat London das wohl geschrieben? Wo hat Riff Reb’s hier gekürzt?” Auch diese Reihenfolge des Lesens von Adaption und Vorlage hat jedenfalls ihren Reiz. Der Nachteil ist freilich, dass ich das Comic nun isoliert bewerten muss. Und diese Bewertung fällt positiv aus: Riff Reb’s Adaption (ha! Wobei… dieser Text ist auf deutsch, auch so passt dieser Apostroph nicht ins Bild) gibt den Darstellungen des brutalen Lebens an Bord ebenso Raum wie der Seefahrt an sich und wie den philosophischen Gesprächen über Werte und Nichtwerte, über Sinn und Unsinn von Freiheit, Angst und Anpassung, die Larsen und Van Weyden miteinander führen. In welchem Verhältnis diese Elemente allerdings bei London stehen, vermag ich nicht zu sagen. “Der Seewolf” wird häufig als philosophische Geschichte apostrophiert (!), sodass demzufolge der diametral gegensätzliche Gedankenaustausch  von Schöngeist und Seemonster wohl im Ergebnis ein wenig zu kurz kommt.

seewolfpanel

Darüber verhelfen jedoch die wunderbaren Panels hinweg: “Der Seewolf” ist fantastisch gezeichnet, rein vom Zeichenstil her handelt es sich um ein Musterbeispiel der Gattung Comic. Ein Manko jedoch: Fast immer lehne ich Schwarzweißzeichnungen ab, hier – in diesem kolorierten Werk – hätten sie jedoch ausnahmsweise anstelle der Farbgebung gut getan. Denn: Reb’s taucht jedes Kapitel seines Werks in eine andere “Grundfarbe”, von Meeresblau und Sepiatönen über ein galliges Grün bis hin zu einem ausgewaschenen Rosa. Dieser Effekt zieht nicht. Entweder eine normale, differenzierte Koloration oder gar keine – diese bewusste, kapitelweise “Farbeintönigkeit” der Kapitel spiegelt sich in der durchaus gut erzählten Geschichte inhaltlich nicht wieder (wobei das rosa Kapitel ausgerechnet das ist, in dem die einzige Frau der Geschichte eine wesentliche Rolle spielt, aber das ist wohl eher Zufall…hoffe ich).

“Der Seewolf” ist nun bereits die zweite Adaption, die ich aus der SPLITTER-Reihe “Books” gelesen habe (nach der meiner Meinung nach noch gelungeneren Umsetzung von Dostojewskis Spieler). Auch dieses Werk wusste definitiv zu gefallen…

…und hat sicherlich zur wichtigen Erkenntnis beigetragen: Abenteuergeschichten sind besser als ihr Ruf.

Suchender des Kicks

Manu Larcenet – BLAST Nr. 1: Masse

Polza Mancini wird verhaftet. Ein Riese, “geformt aus Fett und enttäuschten Hoffnungen”, wie es im Klappentext heißt. Ihm wird ein Gewaltverbrechen an einer Frau vorgeworfen. Da die Beweislage bereits erdrückend ist, haben die Ermittler Zeit. Zeit, die sie nutzen wollen, um den Menschen Polza zu verstehen. Die genauen Umstände des Polza zur Last gelegten Verbrechens bleiben während des gesamten Comics unklar. Mit dem Verhör des Beschuldigten beginnt die Geschichte. Und diese hat es in sich.

Masse” ist der Name des ersten Teils von “BLAST”, einer mehrbändigen, auf deutsch bei Reprodukt erscheinenden Reihe des französischen Autors und Zeichners Manu Larcenet. Mittlerweile ist bereits der zweite Band erschienen, der dritte ist in Vorbereitung.

Polza nimmt sich gegenüber den Polizisten Zeit, seine Geschichte zu erzählen. Es ist die Geschichte eines Niedergangs: Der schwerst adipöse Protagonist ändert nach dem Tod seines Vaters radikal sein Leben, gibt seine bürgerliche Existenz als verheirateter Kochbuchautor auf und zieht, bepackt mit Unmengen von Alkohol, in den Wald. Warum tut er dies? Wegen des BLAST.

Was zur Hölle ist der BLAST? Das versucht der Leser ebenso herauszufinden wie die beiden Polizisten beim Verhör, das die Rahmenhandlung darstellt. Der BLAST scheint ein Moment höchster Erleuchtung, größten Glücks und tiefster innerer Ruhe zu sein, den Polza kurz nach dem Tod seines Vaters erlebte und dem er nun nachjagt. Immer wieder wird die rückblickende Erzählung von Polza unterbrochen und der Leser wird zurück in die Amtsstube geholt, wo sich die Polizisten über Polzas Geschichte wundern: Sie glauben ihm kein Wort. Er kleidet seine Ausführungen über den Sinn seines Aussteigerdaseins in philosophische Gedanken, die er auch noch elegant zu verpacken versteht. Genau in dem Moment, in dem der Leser beginnt, Polza zu verstehen und in dem die Sympathie für den ebenso traurigen wie tiefgründigen Riesen anschwillt, versteht es Larcenet, die Geschichte zu brechen und dem Leser den Boden unter den Füßen wegzuziehen: Die Polizisten konfrontieren Polza immer wieder mit Widersprüchen seiner Geschichte – und seine Biographie bekommt Risse. Der Leser weiß nicht, wem er glauben soll, und all dies vor dem Hintergrund der Schatten des diffusen Gewaltverbrechens und des ebenso unklar bleibenden BLAST-Erlebens.

Dies ist die Mélange, aus der Manu Larcenet ein starkes Album geschaffen hat. Die Umsetzung dieser Geschichte steht dem in nichts nach: Larcenet nutzt einen grafischen Stil, der mir so noch nicht untergekommen ist. Eine schwarzweiße Mischung aus Kohlezeichnung und schattenartigem Aquarell, die die dutzenden Zwischentöne der Melancholie, die Polza erlebt und schildert, einfängt und konserviert. Die Körper sind verformt, die Nasen zu lang, die Extremitäten unförmig – alles ist eine Spur absurd; einen guten Schuss Ironie hat Larcenet auch hinzugefügt. Der BLAST, das epiphaniegleiche Erweckungserlebnis, reiht sich in die schwarzweiße Melancholie durch fröhliche Buntstiftzeichnungen ein – die von zwei Mädchen, Lille und Lenni (den Kindern des Autors?) gezeichnet wurden.

All das macht Lust auf Mehr, als ich den ersten Band durch hatte, war ich enttäuscht, mir nicht auch noch den zweiten besorgt zu haben. “BLAST” ist definitiv lesenswert: Eine Geschichte, deren Maß an Originalität vieles andere aus den letzten Jahren in den (aquarellartigen) Schatten stellt.

Manu Larcenet – BLAST Nr. 1: Masse
Reprodukt 2012, 204 Seiten, 29 EUR

Joe Sacco: Reportagen

“Es wäre gut, wenn noch mehr Comicautoren künstlerische Risiken eingehen würden.” – Joe Sacco

Ich gebe es zu: Mit den bisherigen Arbeiten Saccos bin ich nicht warm geworden. Zu düster die stets krisenbezogenen Themen rund um Gaza, Bosnien und Palästina, zu verworren der Erzählstil – hinter diesen Scheinargumenten habe ich mich versteckt und Sacco immer recht schnell wieder zurück ins Regal gestellt.

Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.

SaccoCover

Als vor kurzem in der Edition Moderne “Reportagen” erschien – ein Band mit kürzeren Arbeiten Saccos, die nicht auf einen Ort und ein Thema beschränkt sind – musste ich zugreifen. Jeder hat eine zweite Chance verdient. Erst recht, wenn derjenige Joe Sacco heißt und seit einigen Jahrzehnten erfolgreich dabei ist, sowohl Comic als auch Journalismus auf den Kopf zu stellen.

“Reportagen” führt Sacco, der auch hier die subjektive Seite nicht ausblendet und selbst, wenngleich teilweise sehr dezent, in den Comics auftritt, unter anderem nach Den Haag und nach Malta.

Diese beiden Arbeiten sind es, die zu den gelungensten des Werks gehören. In Den Haag beobachtet Sacco die Arbeit des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien. Wenngleich diese Reportage zu kurz geraten ist, um die Schwierigkeiten, in denen sich das Gericht befindet, in angemessener Tiefe darzustellen (das wäre einen Band vom Umfang der anderen Werke Saccos definitiv wert), erlangt der Leser doch einen kleinen Eindruck von dem Gefühl im Umgang mit dem Problem, aus Kriegschaos Gerechtigkeit zu formen.

Auf Malta, dem Geburtsort Saccos, spürt er dem Leid der afrikanischen Flüchtlinge nach, für die Malta häufig kein Zufluchtsort, sondern der Anfang vom Ende ist. Diese Reportage ist vor dem Hintergrund der Tragödie von Lampedusa und der damit einhergehenden politischen (Schein)Diskussion in der EU und hierzulande um den Umgang mit Flüchtlingen brandaktuell. Sacco zeigt exemplarisch auf, wie eine typische Fluch aus Afrika in die EU abläuft und welche Motive ihr zugrunde liegen. Natürlich kommen auch die Malteser selbst zu Wort und können nach Herzenslust ihrer Angst vor der Überfremdung (die aus maltesischer Perspektive zumindest nachvollziehbarer erscheint) Luft machen.

All das ist in Saccos bekanntem, extrem texturbetontem Schwarz-Weiß-Stil gekleidet. Das muss man mögen, ich halte diese Art der Nutzung von Schraffuren und Textur für zu viel des Guten. Sacco ist niemand, der grafisch allzu subtil zu Werke geht. Stark sind die abwechslungsreichen Physiognomien – keines der Gesichter ähnelt dem anderen, jeder der gezeigten Menschen ist auf seine Weise eine individueller Leidensgenosse, egal an welchem Krisenort.

Jede Reportage wird von kurzen, prägnanten und durchaus selbstkritischen Anmerkungen des Autors am Ende ergänzt.

saccoreportagen

Ist das nun guter Journalismus? Ist guter Journalismus durch das Medium Comic überhaupt möglich? Ja und ja. Saccos Reportagen haben narrative Elemente und sind, allein schon aufgrund des grafischen Mediums, naturgegeben subjektiver als ein rein berichtender Text es wäre. Dennoch macht Sacco das, was meiner Meinung nach guten Journalismus ausmacht: Sich der Wahrheit mit den Mitteln des Mediums, das er nutzt, möglichst stark anzunähern. Das gelingt ihm hervorragend.

Wie es aussieht, werden nun auch Saccos andere Werke nicht mehr allzu lang im Regal verharren müssen.