Apokalyptische Bildfolgen

Der momentane Boom für Comics und sogenannte Graphic Novels beschert uns seit einigen Jahren in schöner Regelmäßigkeit wahre Meisterwerke der Neunten Kunst. Das hängt auch damit zusammen, dass sich das Medium – bzw. die daran Beteiligten, die Autoren, Zeichner, Verleger – mehr trauen: Buchstäblich alles kann Stoff für ein Comic sein, jede Literaturgattung ist adaptierbar. Wie sagt Scott McCloud zu Recht? Die Möglichkeiten des Comics sind unbegrenzt.

Der beschriebene Boom führt jedoch auch dazu, dass in der Vielzahl der ambitionierten Projekte gelegentlich das Ziel verfehlt wird. So leider auch, zumindest für mich ganz persönlich, bei “Das Buch der Offenbarung” von Matt Dorff und Chris Koelle. Das Werk ist auf deutsch im ansonsten von mir geschätzten ATRIUM-Verlag erschienen.

Die beiden US-Amerikaner Matt Dorff (Szenarist) und Chris Koelle (Zeichner) haben sich einen der bekanntesten Texte der Weltliteratur vorgenommen: Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes.

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Der Clou bei dieser Form der grafischen Adaption ist: Der Text wurde nicht verändert. Auf deutsch in der Übersetzung Martin Luthers, enthält das Comic den gesamten Text der biblischen Offenbarung, soweit ich das ersehen kann ungekürzt. Positiv daran ist, dass damit ein interessanter neuer Ansatz verwirklicht wurde: Das zu adaptierende Grundwerk wird belassen, der Text des Originals kommt unverändert zu Wort, der Autor des Grundwerks ist damit gleichzeitig Szenarist des Comics. Dieser Ansatz ist spannend und sollte künftig noch weiter verfolgt und erprobt werden.

In Dorffs / Koelles “Offenbarung” funktioniert dies hingegen meiner Meinung nach nicht. Der Text der Offenbarung ist zutiefst symbolisch, höchst inkohärent und damit durchweg kryptisch. Ich gebe zu, dass ich bei weitem kein Theologe oder bibelfester Gläubiger bin, aber ich denke, ein solches Werk sollte den Anspruch haben, auch für den aufgeschlossenen, an religiösen Texten Interessierten zugänglich zu sein. Das Problem hier: Der ohnehin inhaltlich parzellierte Text wird durch die Panels noch stärker verzerrt.

Nichts gegen Koelles Fertigkeiten am Zeichenbrett: Koelles Bilder sind durchweg von epochaler Wucht, glänzend gezeichnet und meisterhaft koloriert. Leider jedoch – und es scheint, wie der Anhang andeutet, liegt dies an den Vorgaben Dorffs – ist das gesamte Werk von einem dauerpräsenten Pathos durchzogen, von einem verherrlichenden Unterton, der zwischen Gewalt und Erlösung nicht unterscheidet. Dies verstärkt den Eindruck des reinen Texts, nimmt der Bildebene aber viele Möglichkeiten. Es wird keine Geschichte erzählt – die Panels hängen, genau wie Sequenzen des Texts, im Raum und nicht bzw. nur stellenweise zusammen. Eine – nicht zwingend ironische – moderne Brechung irgendeiner Art findet in den Bildern Koelles nicht statt.

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Erhofft habe ich mir, dass – eventuell auf einer gerade hier mehr als notwendigen narrativen Metaebene, vielleicht aus dem Munde des historischen Johannes – bestimmte kulturelle Topoi, wie die satanische Zahl “666”, erläutert werden. Der Grundaufbau des Comics als mit epischen Bildern unterlegte Textwiedergabe erlaubt dies nicht.

Ich kann dieses Comic jedem empfehlen, der ein Sonderinteresse an der Bibel und insbesondere an den großen biblischen Plagen, der Apokalypse bzw. dem Harmagedon hat. Doch darauf beschränkt es sich.

Großes Lob gebührt den Machern jedoch für ihren Mut. Scheitern gehört dazu, will man das Medium Comic ausloten und weiterführen.

Falsche Liebe und echter Hass…

oder andersherum?

Mafia fasziniert. Gegen Ende der Schulzeit hatten einige von Freunde von mir und meine Wenigkeit eine kleine Mafia-Phase und wir taten alles, was dazu gehört, will man sich intensiv mit dem Thema befassen, ohne gleich ein paar unschuldige Leute abzuknallen: Wir schauten alle Der-Pate-Filme an einem Abend, wir ließen natürlich auch keine der anderen gelungenen Mafia-Verfilmungen aus, wir rauchten Zigarren, bestellten Banana Daiquiris und, ja, wir kochten auch Clemenzas Tomatensauce nach. So gestärkt, dachte ich zarter Endpennäler, eine Menge über die Mafia zu wissen.

Weit gefehlt. Als ich auf “Der Frevel am Altar der Heiligen Klara” aufmerksam wurde, schien mir das Thema Mafia sehr weit weg. Ich dachte, okay, schon wieder so eine Geschichte über das harte Leben und die harten Jungs der italienischen Mafia. Tatsächlich ist der Zugang zum Thema hier jedoch ein anderer. Es geht um schwule Mafiosi.

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“Der Frevel am Altar der Heiligen Klara” basiert auf der Romanvorlage “Der Verstoß” des italienischen Autors L. R. Carrino, die bei Pulp Master erschienen ist. Ich habe die Romanvorlage diesmal nicht gelesen, man möge es mir nachsehen. Einen umso unverstellteren Blick hatte ich daher auf den “Frevel”-Comic, für den sich Valerio Bindi als Szenarist und Maria Pia Cinque (MP5) als Zeichnerin verantwortlich zeigen. Das Comic ist auf deutsch bei schreiber+leser erschienen.

Der Inhalt ist schnell erzählt: Giovanni ist der etwas langsame Sohn von Don Antonio, eines mächtigen Mafiabosses aus Neapel. Nach einiger Zeit im Jungendknast heiratete er seine Frau Mariasole, mit der er auch ein Kind hat. Sein Interesse gilt – neben der Arbeit als Lohntütenverteiler und Auftragskiller im Namen seines Vaters – allerdings weniger seiner Familie, als viel mehr dem aufgeweckten Salvatore. Die beiden treffen sich in aller erdenklichen Geheimhaltung einmal im Monat für schnellen Sex. In der von Bibel, Katholizismus, scheinbaren Werten, Angst und Kontrolle geprägten Welt der Mafia und insbesondere des Don Antonio ist Homosexualität eine unentschuldbare Todsünde. Natürlich kommt es, wie es kommen muss, und die verbotene Beziehung zwischen Giovanni und Salvatore fliegt auf.

Das Werk ist, man muss es in aller Deutlichkeit sagen, anstrengend: Es fordert den Leser heraus. Die Erzählstruktur ist minimalistisch, Vieles wird vorausgesetzt, Anderes ganz bewusst dem Leser überlassen. Dieser wird nicht an die Hand genommen, nicht durch die Geschichte geführt, nein, die Geschichte wird dem Leser ins Gesicht geschleudert. Das meine ich nicht unbedingt negativ. Drastische Momente, expliziter schwuler Sex, Vergewaltigungen im Knast und Attentate werden in aller Offenheit gezeigt. Gleichzeitig hat die Story eine subtilere Ebene, bei der es um die Beziehung, insbesondere um die Kommunikation zwischen Giovanni und Salvatore geht.

Man muss sich dieses Werk aneignen, man muss sich darauf einlassen. Genau so verhält es sich mit den Zeichnungen von MP5: Holzschnittartig sind diese, stark reduziert, in straffem Schwarzweiß, fast immer ohne Graustufen, ohne Farbverläufe. Dennoch keinesfalls trivial oder im schlechten Sinne eintönig. Vergangenheit wird in einem vernebelten Sub-Stil des Holzschnitts dargestellt, Erinnerung wiederum in einem nochmals anderen, schraffurartigen Stil. Sowas habe ich bisher noch nicht gesehen.

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Das Ende der Geschichte ist im Ergebnis vorhersehbar, in der Art und Weise des Geschehens jedoch keinesfalls.

“Der Frevel am Altar der Heiligen Klara” ist für jeden zu empfehlen, der eine Graphic Novel lesen möchte, die angenehm weit abseits des farbenfrohen Mainstreams steht. Ein dickes Fell sollte man mitbringen.

Sternstunden der Literatur: Stefan Zweig im Comic

Vor einiger Zeit hatte ich dank meines guten Freundes Tilman von 54books das Glück, nach langer Zeit mal wieder einen Autor neu zu entdecken, dem ich von da an verfallen bin. Ein solcher Vorgang kommt leider allzu selten vor: Die meisten Autoren schreiben entweder flüchtige Erzählungen, die mir, selbst wenn sie mir leidlich gefallen, nur wenige Monate im Gedächtnis bleiben; viele Autoren schaffen es überhaupt nicht, dass ich mich ihrer erinnere. Vielleicht bin ich zu speziell, zu wählerisch. Eine Geschichte zu lesen, die mich stante pede dazu animiert hat, mehr von dem gleichen Schreiber zu erfahren, zu lesen – das ist selten.

Begonnen hat es mit der Lektüre von Stefan Zweigs Schachnovelle, eines Büchleins, das seit 15 Jahren bei mir im Regal stand, das ich jedoch nie anrührte, da ich es – obwohl, oder sogar gerade weil ich jahrelang Mitglied eines Schachvereins war – für bereits vom Setting her langweilig hielt. Weit gefehlt. Hier soll es jedoch nicht um die Prosawerke von Stefan Zweig gehen. Zu meiner Lektüre einiger dieser Werke habe ich meine Gedanken in meinem Zweitprojekt Buchguerilla wiedergegeben. Hier möchte ich ein Comic vorstellen, dessen Lektüre mich ebenso ergriffen hat.

Es geht um “Die letzten Tage von Stefan Zweig”, erschienen 2012 bei Jacoby Stuart. Szenarist ist Laurent Seksik, Zeichner Guillaume Sorel.

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Das Werk behandelt die Ankunft Zweigs in Brasilien, mitten im Zweiten Weltkrieg und thematisiert dabei insbesondere seine Beziehung zu seiner ihn begleitenden Frau sowie seine immer stärker werdende Melancholie, die aus dem Umstand herrührt, als österreichischer Jude in Deutschland verfolgt, als Deutscher in England stigmatisiert und durch alle Herren Länder Europas vertrieben worden zu sein.

Gleichzeitig zieht sich durch das Comic eine Art ruhige, gelassene Resignation, der Zweig anheim fällt. Der große Humanist, der die bürgerliche Freiheit, insbesondere die Freiheit des schöpferischen Künstlers zum höchsten Ideal erhebt, strebt danach, auch über sein Lebensende frei zu verfügen. Dass das Buch wie das Leben Zweigs mit seinem Selbstmord, Seit an Seit mit seiner Frau, endet, ist bekannt.

Neben den hervorragenden, teilweise in direkter Zitation aus den Werken Zweigs entnommenen Dialogen besticht das Comic vor allem durch seine Zeichnungen: Wie das Cover bereits andeutet, ist der Stil durchaus realistisch, wunderschöne aquarellartige Striche und Farben, bei denen jeder Ton sitzt, machen aus dem Stoff nicht nur für Zweig-Enthusiasten ein Leseerlebnis.