Falsche Liebe und echter Hass…

oder andersherum?

Mafia fasziniert. Gegen Ende der Schulzeit hatten einige von Freunde von mir und meine Wenigkeit eine kleine Mafia-Phase und wir taten alles, was dazu gehört, will man sich intensiv mit dem Thema befassen, ohne gleich ein paar unschuldige Leute abzuknallen: Wir schauten alle Der-Pate-Filme an einem Abend, wir ließen natürlich auch keine der anderen gelungenen Mafia-Verfilmungen aus, wir rauchten Zigarren, bestellten Banana Daiquiris und, ja, wir kochten auch Clemenzas Tomatensauce nach. So gestärkt, dachte ich zarter Endpennäler, eine Menge über die Mafia zu wissen.

Weit gefehlt. Als ich auf “Der Frevel am Altar der Heiligen Klara” aufmerksam wurde, schien mir das Thema Mafia sehr weit weg. Ich dachte, okay, schon wieder so eine Geschichte über das harte Leben und die harten Jungs der italienischen Mafia. Tatsächlich ist der Zugang zum Thema hier jedoch ein anderer. Es geht um schwule Mafiosi.

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“Der Frevel am Altar der Heiligen Klara” basiert auf der Romanvorlage “Der Verstoß” des italienischen Autors L. R. Carrino, die bei Pulp Master erschienen ist. Ich habe die Romanvorlage diesmal nicht gelesen, man möge es mir nachsehen. Einen umso unverstellteren Blick hatte ich daher auf den “Frevel”-Comic, für den sich Valerio Bindi als Szenarist und Maria Pia Cinque (MP5) als Zeichnerin verantwortlich zeigen. Das Comic ist auf deutsch bei schreiber+leser erschienen.

Der Inhalt ist schnell erzählt: Giovanni ist der etwas langsame Sohn von Don Antonio, eines mächtigen Mafiabosses aus Neapel. Nach einiger Zeit im Jungendknast heiratete er seine Frau Mariasole, mit der er auch ein Kind hat. Sein Interesse gilt – neben der Arbeit als Lohntütenverteiler und Auftragskiller im Namen seines Vaters – allerdings weniger seiner Familie, als viel mehr dem aufgeweckten Salvatore. Die beiden treffen sich in aller erdenklichen Geheimhaltung einmal im Monat für schnellen Sex. In der von Bibel, Katholizismus, scheinbaren Werten, Angst und Kontrolle geprägten Welt der Mafia und insbesondere des Don Antonio ist Homosexualität eine unentschuldbare Todsünde. Natürlich kommt es, wie es kommen muss, und die verbotene Beziehung zwischen Giovanni und Salvatore fliegt auf.

Das Werk ist, man muss es in aller Deutlichkeit sagen, anstrengend: Es fordert den Leser heraus. Die Erzählstruktur ist minimalistisch, Vieles wird vorausgesetzt, Anderes ganz bewusst dem Leser überlassen. Dieser wird nicht an die Hand genommen, nicht durch die Geschichte geführt, nein, die Geschichte wird dem Leser ins Gesicht geschleudert. Das meine ich nicht unbedingt negativ. Drastische Momente, expliziter schwuler Sex, Vergewaltigungen im Knast und Attentate werden in aller Offenheit gezeigt. Gleichzeitig hat die Story eine subtilere Ebene, bei der es um die Beziehung, insbesondere um die Kommunikation zwischen Giovanni und Salvatore geht.

Man muss sich dieses Werk aneignen, man muss sich darauf einlassen. Genau so verhält es sich mit den Zeichnungen von MP5: Holzschnittartig sind diese, stark reduziert, in straffem Schwarzweiß, fast immer ohne Graustufen, ohne Farbverläufe. Dennoch keinesfalls trivial oder im schlechten Sinne eintönig. Vergangenheit wird in einem vernebelten Sub-Stil des Holzschnitts dargestellt, Erinnerung wiederum in einem nochmals anderen, schraffurartigen Stil. Sowas habe ich bisher noch nicht gesehen.

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Das Ende der Geschichte ist im Ergebnis vorhersehbar, in der Art und Weise des Geschehens jedoch keinesfalls.

“Der Frevel am Altar der Heiligen Klara” ist für jeden zu empfehlen, der eine Graphic Novel lesen möchte, die angenehm weit abseits des farbenfrohen Mainstreams steht. Ein dickes Fell sollte man mitbringen.