Doppelrezension: Kleists Michael Kohlhaas in Text und Bild

Bei dem Namen “Heinrich von Kleist” zucken viele unvermittelt zusammen. Das liegt vor allem daran, dass es Heerscharen von Deutschlehrern schaffen, die Lektüre von Kleists Hauptwerk “Der zerbrochne Krug” für noch größere Heerscharen von Schülerinnen und Schülern durch uninspirierten Unterricht zu verderben. Dass Kleist neben seinen Dramen nicht zuletzt auch für seine Novellen bekannt ist, bleibt da häufig auf der Strecke.

Tatsächlich war meine persönliche schulinduzierte Kleist-Abneigung so nachhaltig, dass ich mich erst jetzt dazu durchringen konnte, mit der Lektüre einer Kleist-Novelle eine weitere Bildungslücke in meiner Leserbiographie zu schließen.

Kleist-Novellen

Die Wahl fiel auf den Michael Kohlhaas. Zum einen, weil diese Novelle zum Sinnieren über Recht und Gerechtigkeit inspiriert – Themen, mit denen ich bereits von Berufs wegen zu tun haben muss / darf –, zum anderen, weil letztes Jahr eine Kohlhaas-Verfilmung mit dem von mir hochgeschätzten Mads Mikkelsen erschien.

Zum Inhalt

Kleists Novelle “Michael Kohlhaas” aus dem Jahre 1810 basiert lose auf der historischen Figur des Hans Kohlhaase, einem Kaufmann aus Berlin (Cölln), der im 16. Jahrhundert nach erfolgloser Ausschöpfung des Rechtswegs eine Fehde gegen das Land Sachsen vom Zaun brach, weil ihn ein Adeliger schikaniert hatte. In der kleistschen Fassung ist Kohlhaas Pferdehändler, dem bei dem Versuch, eine Burg niederen Adels zu passieren, zwei Pferde widerrechtlich als Pfand abgenommen werden. Die Tiere werden in der Folge zu schwerer Landarbeit missbraucht, nicht oder nur schlecht versorgt und im Schweinestall untergebracht. Kohlhaas ist außer sich, beschreitet den damals nach heutigen Maßstäben nicht gerade zuverlässigen Rechtsweg – und scheitert.
Also bedient er sich des alten, zu damaliger Zeit gerade erst “abgeschafften” Mittels der Fehde. Er schart seine Knechte zusammen und greift zur Selbstjustiz gegen Sachsen, steckt Wittenberg und Leipzig in Brand. Damit setzt er Ereignisse in Gang, die er keineswegs mehr kontrollieren kann und die ihm mehr schaden als seine beiden unterversorgten Rappen jemals wert waren.

Das Buch

Muss man, sollte man den Kohlhaas gelesen haben?
Zwar ist die Novelle weniger stark in den verschiedensten Literaturkanones vertreten als Kleists zerbrochner Krug, aber als Beispiel für fehlgeleitete Selbstjustiz oder für das Fehlen jeder Verhältnismäßigkeit ist “Michael Kohlhaas” auch heute noch ein Begriff. Dennoch kann ich die Empfehlung nur bedingt aussprechen. Die kleistsche Sprache ist sehr sperrig. Der Autor nutzt Schachtelsätze, in denen auch der geübte Leser leicht den Überblick verliert. Zudem bedient sich Kleist im Kohlhaas nur an sehr wenigen Stellen der direkten Rede, sondern umschreibt die Dialoge, was – gepaart mit den Schachtelsätzen – den Lesefluss weiter erschwert.

Aber es ist nicht die Sprache, es ist der Inhalt, an dem man Michael Kohlhaas zu messen hat. Das Buch vermittelt einen Eindruck von den damaligen politischen und juristischen Verhältnissen: Adeliger verschiedenster Couleur intrigieren, die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg treten auf, greifen in gerichtliche Tribunale ein, besetzen Spruchkörper durch eigene Leute und entscheiden eigenmächtig über Amnestie, Leben und Tod. Besonders interessant ist dabei die dreifache Leser-, Erzähler-, und Binnenperspektive: Der heutige Leser hat einen bestimmten Blick auf die Missstände, die im 16. Jahrhundert herrschten. Kleists eigene Perspektive scheint an vielen Stellen der Erzählung wertend durch, mit stellenweise nicht geringen Sympathien für den Landfriedensbrecher Kohlhaas. Zu guter Letzt entfaltet sich mit der Sicht der Betroffenen, insbesondere mit Kohlhaas’ eigener Vorstellungswelt, in der Novelle selbst die dritte Perspektive. Je mehr zeitlicher Abstand zu den Geschehnissen gewonnen wird, desto unbegreiflicher wird die kohlhaassche Fehde, aber bereits bei Kleist, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, gehörten derlei Umstände zu einem Großteil in die absonderliche Welt der Historie. Gleichzeitig zeigt das Buch, wohin Gerechtigkeit um der Gerechtigkeit Willen führt: Aufs Schafott. Damals physisch, heute bildlich. Dass die Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols heute aktueller ist denn je, zeigen nicht zuletzt Phänomene wie die “Scharia Polizei” oder die Terrorgruppe ISIS.

Die Verfilmung

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Michael Kohlhaas ist eine klassische Rachegeschichte. Daher war die Gefahr groß, den Stoff auch in dieser Manier zu verfilmen: Mit jeder Menge Gemetzel und Blut. Ich bin froh, dass die Verfilmung von Arnaud des Pallières aus 2013 diesen Fehler nicht beging. Mads Mikkelsen spielt die namensgebende Hauptrolle. Spätestens seit “Die Jagd”, wo Mikkelsen furios einen Kindergärtner spielt, der sich Pädophilievorwürfen ausgesetzt sieht, gehört der Däne zu den etabliertesten europäischen Schauspielern. Der Film erzählt die Geschichte bedächtig, nimmt sich die nötige Zeit. Dabei gleitet des Pallières leider gelegentlich ins andere Extrem ab: Der Film nicht sich stellenweise zu viel Zeit, meditiert mehr über die Geschichte, als sie zu erzählen. Dass die Handlung von Sachsen / Brandenburg im Film nach Frankreich verlegt wurde, ist dabei nebensächlich, dass ein Gros der Handlung jedoch völlig weggelassen wurde, ist des Guten, ist der Reduktion zu viel. Das Brandschatzen in Wittenberg und Leipzig und die Episode mit der Wahrsagerin fehlen komplett. Gerade mit den Gräueltaten, die der rachedurstige Pferdehändler über die Menschen bringt, hätte man nicht geizen sollen. Der Regisseur hätte es vermocht, den Mittelweg zu gehen und die Geschichte spannend und lebhaft zu erzählen, ohne Blut und Schwert ins Zentrum zu stellen.

Und der Mehrwert?

Wer sich den Kohlhaas-Stoff, vor allem den kleistschen Kohlhaas, aneignet, gewinnt Einsichten in ein Stück Historie und dessen vielfältige spätere Rezeption. Zudem zeigt das Werk, wie leicht scheinbar festgefügte staatliche Ordnungssysteme ins Wanken zu bringen waren (sind?). Zusammenfassend muss der Ehrlichkeit halber aber hinzugefügt werden, dass die Novelle ihre Schätze wohl nur denjenigen preisgeben wird, die ein Sonderinteresse für Justiz und Geschichte mitbringen.