Joe Sacco: Reportagen

“Es wäre gut, wenn noch mehr Comicautoren künstlerische Risiken eingehen würden.” – Joe Sacco

Ich gebe es zu: Mit den bisherigen Arbeiten Saccos bin ich nicht warm geworden. Zu düster die stets krisenbezogenen Themen rund um Gaza, Bosnien und Palästina, zu verworren der Erzählstil – hinter diesen Scheinargumenten habe ich mich versteckt und Sacco immer recht schnell wieder zurück ins Regal gestellt.

Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.

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Als vor kurzem in der Edition Moderne “Reportagen” erschien – ein Band mit kürzeren Arbeiten Saccos, die nicht auf einen Ort und ein Thema beschränkt sind – musste ich zugreifen. Jeder hat eine zweite Chance verdient. Erst recht, wenn derjenige Joe Sacco heißt und seit einigen Jahrzehnten erfolgreich dabei ist, sowohl Comic als auch Journalismus auf den Kopf zu stellen.

“Reportagen” führt Sacco, der auch hier die subjektive Seite nicht ausblendet und selbst, wenngleich teilweise sehr dezent, in den Comics auftritt, unter anderem nach Den Haag und nach Malta.

Diese beiden Arbeiten sind es, die zu den gelungensten des Werks gehören. In Den Haag beobachtet Sacco die Arbeit des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien. Wenngleich diese Reportage zu kurz geraten ist, um die Schwierigkeiten, in denen sich das Gericht befindet, in angemessener Tiefe darzustellen (das wäre einen Band vom Umfang der anderen Werke Saccos definitiv wert), erlangt der Leser doch einen kleinen Eindruck von dem Gefühl im Umgang mit dem Problem, aus Kriegschaos Gerechtigkeit zu formen.

Auf Malta, dem Geburtsort Saccos, spürt er dem Leid der afrikanischen Flüchtlinge nach, für die Malta häufig kein Zufluchtsort, sondern der Anfang vom Ende ist. Diese Reportage ist vor dem Hintergrund der Tragödie von Lampedusa und der damit einhergehenden politischen (Schein)Diskussion in der EU und hierzulande um den Umgang mit Flüchtlingen brandaktuell. Sacco zeigt exemplarisch auf, wie eine typische Fluch aus Afrika in die EU abläuft und welche Motive ihr zugrunde liegen. Natürlich kommen auch die Malteser selbst zu Wort und können nach Herzenslust ihrer Angst vor der Überfremdung (die aus maltesischer Perspektive zumindest nachvollziehbarer erscheint) Luft machen.

All das ist in Saccos bekanntem, extrem texturbetontem Schwarz-Weiß-Stil gekleidet. Das muss man mögen, ich halte diese Art der Nutzung von Schraffuren und Textur für zu viel des Guten. Sacco ist niemand, der grafisch allzu subtil zu Werke geht. Stark sind die abwechslungsreichen Physiognomien – keines der Gesichter ähnelt dem anderen, jeder der gezeigten Menschen ist auf seine Weise eine individueller Leidensgenosse, egal an welchem Krisenort.

Jede Reportage wird von kurzen, prägnanten und durchaus selbstkritischen Anmerkungen des Autors am Ende ergänzt.

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Ist das nun guter Journalismus? Ist guter Journalismus durch das Medium Comic überhaupt möglich? Ja und ja. Saccos Reportagen haben narrative Elemente und sind, allein schon aufgrund des grafischen Mediums, naturgegeben subjektiver als ein rein berichtender Text es wäre. Dennoch macht Sacco das, was meiner Meinung nach guten Journalismus ausmacht: Sich der Wahrheit mit den Mitteln des Mediums, das er nutzt, möglichst stark anzunähern. Das gelingt ihm hervorragend.

Wie es aussieht, werden nun auch Saccos andere Werke nicht mehr allzu lang im Regal verharren müssen.

Die Sache mit Sorge

“Heute machen wir Geschichte! Ich, Richard Sorge, werde Hitler besiegen!”

Geschichten über das Dritte Reich wirken häufig abgedroschen, da sie scheinbar alle schon einmal erzählt wurden. Anders verhält sich dies bei wahren Geschichten, die auch noch gut recherchiert wurden. Richtig spannend wird es meiner Meinung nach dann, wenn eine wahre Geschichte zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt, der Ort der Handlung allerdings nicht in Europa liegt, sondern woanders auf unserem (nicht nur) zu dieser Zeit kriegsgebeutelten Planeten. Genau dies ist das Setting des 2008 bei Carlsen erschienenen Comics “Die Sache mit Sorge” von Isabel Kreitz.

Die Geschichte spielt zu Beginn der 1940er Jahre in Tokio, hauptsächlich an der dortigen deutschen Botschaft. Ein derartiger Perspektivwechsel – weg vom häufig eurozentrisch erzählten Krieg in unseren Gefilden – ist höchst lehrreich: Man gewinnt deutlicher als sonst den Eindruck, dass der Krieg ein wahrer Weltkrieg war, dass der Schrecken des nationalsozialistischen Terrorregimes bis in die “entlegensten” Ecken vordrang. Allein dafür, aus dieser Geschichte, die fernab von den Geschehnissen in Deutschland spielt, einen 240 Seiten starken Comic gemacht zu haben, gebührt Isabel Kreitz Dank.

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Protagonist der Sache mit Sorge ist der Deutsche Dr. Richard Sorge, vordergründig Journalist, tatsächlich jedoch russischer Spion, der das uneingeschränkte Vertrauen des deutschen Botschafters in Tokio erlangen konnte und daher bei der Botschaft ein und aus ging. So war es Sorge, der Stalin vor dem Überfall der Wehrmacht auf Russland (“Unternehmen Barbarossa”) warnte – wie sich herausstellte ein Kassandraruf. Kreitz’ Werk zeichnet das Wirken des Kommunisten Sorge in den Kriegsjahren nach und geht dabei nicht nur auf die politischen und spionagebezogenen realen Vorkommnisse ein, sondern nimmt sich auch viel Raum für die private Geschichte hinter dem Meisterspion Sorge. Seine Beziehung zu der begnadeten Musikerin Eta Harich-Schneider – eine von vielen Frauen, mit denen der Frauenschwarm Sorge anbandelte – steht im Zentrum der Geschichte. Dennoch ist die Politik, dennoch ist die Gefahr stets präsent. Das erzeugt von Beginn an Spannung, die über das gesamte Geschehen hinweg erhalten wird.

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Kreitz wählte einen naturalistischen Zeichenstil für die ganz mit Bleistift bzw. Graphit erstellten Panels. Eine Optik, die mir an sich weniger gut gefällt, hier jedoch aufgrund der ernsten und ruhig erzählten Geschichte stets stimmig ist. Die Panelstruktur ist geradlinig, selten nur finden sich Brechungen, was zur linearen, niemals sprunghaften Erzählweise passt. Allerdings greift Kreitz beim Vorantreiben des Plots auf einen interessanten Kunstgriff, den man vor allem aus TV-Dokus kennt: Die Personen, die in der damals geschehenen Kerngeschichte auftreten, werden immer mal wieder in ihrem heutigen Alter gezeigt und kommentieren das historische Geschehen aus der Gegenwart heraus. Das klingt nach lahmer Guido-Knopp-Doku, ist aber weitaus feinfühliger umgesetzt.

Ein Kritikpunkt ist die nicht übersetzte Nutzung des Japanischen: In vielen Panels treten japanische Spionageabwehragenten auf, während sich die Schlinge um den Spionagering Sorge enger zieht. Diese Agenten sprechen in ihrer Muttersprache, was realistisch ist und Atmosphäre schafft. Leider übertreibt es Kreitz ein wenig damit; nach einigen Seiten möchte man dann doch gern erfahren, was die Herren zum Beispiel bei den Verhören von Sorges japanischen Zuarbeitern zu sagen haben.

Insgesamt ist “Die Sache mit Sorge” ein höchst lesenswerter und vor allem lehrreicher Band. Ein umfassender Anhang mit Fotos des realen Sorge und mit weiteren biographischen Informationen zu den Personen runden das Comic ab. Eine echte Kaufempfehlung.

Auftakt zur Millennium-Trilogie

Irgendwann war ich es leid.

Vor ein paar Jahren gab es einen Zeitraum  von einigen wenigen Monaten, in denen alles voll war damit: Millennium-Bücher, Millennium-Filme, Millennium-Serie, Stieg-Larsson-Biographien, Lisbeth-Salander-T-Shirts. Das war ungefähr der Zeitpunkt, als ich, gerade auf der Hälfte des finalen Teils der Trilogie, ein wenig entnervt abbrach. Ja, ich gebe es zu: Ich habe die Trilogie nicht beendet. Irgendwann war die Luft raus.

Später dann habe ich mich ertappt, wie ich häufiger über die Motive der Millennium-Bücher nachdachte. Ich sah Frauen auf der Straße, stilistisch irgendwo zwischen Punk, Emo und Einfach-Nur-Kaputt angesiedelt, aber mit klugen Augen, und ich dachte: Könnte Lisbeth Salander sein. Als sich in den Medien Geschichten über die Ermordung russischer Oppositioneller durch vermeintliche Ex-KGB-Spione mehrten, dachte ich erneut an die Trilogie. Wenn ich getrocknete Blumen sehe, denke ich als erstes an Henrik Vanger.

Irgendwas war hängen geblieben.

Als ich dann hörte, dass Splitter eine Comicadaption der Millennium-Trilogie herausbringt, war somit klar, dass ich zugreifen musste. Mein Lieblingsband der Trilogie war immer der 1. gewesen, “Verblendung”, wie er auf deutsch heißt. Voller Erwartung begann ich somit die Lektüre des 1. Bandes der Serie, die bei Splitter auf 6 großformatige Hardcover-Bände angelegt ist. Um eins klar zu machen: Ich spreche nicht von der mehr oder weniger parallel erscheinenden Millennium-Adaption von Vertigo. Bei Splitter bedient José Homs die Stifte und Sylvain Runberg die Worte und, ich sage es vorweg: Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

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Die Erzählstruktur ist solide und nah am Roman. Die Chronologie wird beibehalten, die Dialoge sind stimmig und es gibt keine Experimente, bis auf eines: Bereits von Anfang an sieht man in wortlosen Panels oder Splashpanels das Martyrium der – Vorsicht, leichter Spoiler1 – in der Vergangenheit oder Gegenwart entführten Mädchen. Das verwirrt zunächst, wenn sich in den Lesefluss der Geschichte plötzlich die verschreckten, Todesangst ausstehenden Augen eines Entführungsopfer drängen. Noch weiß man gar nichts damit anzufangen. Doch genau das heizt auch die Spannung an, und mangels spezifischen charakterlichen oder emotionalen Tiefgangs ist es vor allem die reine Spannung, von der Larssons Buchvorlage und damit auch das Comic lebt. Aber genau darin gibt es wenige Thriller, die mit “Millennium” gleichziehen könnten. Erzählerisch gut umgesetzt, mit wenigen, aber wenn dann interessanten neuen Akzenten (man sieht Salander mit ihrer Ex-Band, die im Buch nur ganz am Rande vorkommt), sind es jedoch vor allem die Zeichnungen, die die Stärke des Comics darstellen.

Homs pflegt einen Stil, der mir so noch nicht untergekommen ist. Relativ realistische, aber nicht überkorrekte Zeichnungen, insbesondere der Hintergründe, verbinden sich mit Darstellungen der Personen, insbesondere ihrer Köpfe, die Ihresgleichen suchen: Schräge Proportionen und Körperformen, die anatomisch…sagen wir fragwürdig sind. Klingt mittelmäßig, ist es aber nicht – bisher habe ich keinen Zeichner gesehen, der die Vielgestaltigkeit menschlicher Physiognomien derart vielseitig umzusetzen weiß. Jeder Charakter ist so einzigartig wie es die Schauspieler in einem Film wären. Zeichnerische Platitüden finden nicht statt, wenngleich Homs einige Male nah dran ist, den Bogen zu überspannen. Aber der Schuss sitzt dennoch, um in der Metapher zu bleiben.

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Abgerundet wird dieser visuell höchst ansprechende Eindruck von den Farben: Das Comic ist von einem Licht durchzogen, dass nie wirklich realistisch ist, immer einen hauch zu präsent, aber dafür umso plakativer da, wo es plakativ sein muss und umso subtiler da, wo leise Töne gefragt sind. Die Farben, die Illumination der Zeichnungen sind somit schlussendlich im Verbund mit den vorgenannten Punkten der Grund, warum ich – nicht nur für ausgekochte Larsson-Fans – das Comic jedem empfehle, der einen spannenden und grafisch starken Thriller sucht.

1Die Spoiler-Warnung ist Thomas Wellmann gewidmet.