Müll oder Meisterwerk?

“Als ich die Finger öffnete, lag die wilde Malve welk und zerdrückt in meiner Handfläche. Empfindliche Dinge gingen kaputt, wenn man mit ihnen umging, wie ich es tat. Eine Träne tropfte auf zerquetschte lilafarbene Blütenblätter.”

Das Käsekuchenland hat entschieden. Ja, richtig gelesen: Ebenso lautet der Name einer Buchbloggergruppe auf Facebook, die über 400 Mitglieder hat. Davon ist die überwältigende Mehrheit weiblich. Als mein guter Freund und Bloggerkollege Tilman von 54books und ich dort vor einiger Zeit aufschlugen, überraschten und polemisierten wir augenzwinkernd mit dem Ausspruch: Liebe BewohnerInnen des KäKuLa, ihr lest zu viel Schund. Uns Schlug eine Welle der Abneigung und des Zorns entgegen, aber auch viel Humor.

Also machten wir aus der Not eine Tugend. Wir schlugen eine Lese-Challenge vor, bei der wir nur gewinnen konnten – im Mindestmaß eine Erweiterung unseres Horizonts: Wir ließen die BloggerInnen abstimmen, welches der dort gelesenen und rezensierten Bücher wir lesen und rezensieren sollten – nach unseren Maßstäben. Herausgekommen ist für Tilman “Das Schicksal ist ein mieser Verräter”, für mich “Dark Canopy” von Jennifer Benkau.

canopycover
Dark Canopy ist ein Buch, das ich auf keinem Bücher-Grabbeltisch der Welt auch nur eines Blickes gewürdigt hätte. Nun habe ich es gelesen. Dabei habe ich versucht, so weit es eben ging, jede Vorprägung und jedes literarische Vorurteil, das ich bezüglich dieser Art von Büchern – genauer gesagt: “Paranormal Romance” – hatte, abzulegen und einfach den Text auf mich wirken zu lassen.

Zum Inhalt: Joy ist eine Rebellin, die in einer postapokalyptischen Welt, die nur eine nicht namentlich genannte Stadt und ansonsten nur das sogenannte “Bomberland”, also verwüstetes Brachland, kennt, aufgewachsen ist. In ihrem Rebellenclan übernimmt Joy die Stellung einer Kriegerin. Joy ist, ihrer Selbstbeschreibung nach, ein Messermädchen. Warum Rebellion? Weil die Menschen in “Dark Canopy” von Klonkriegern, Percents genannt, die die Menschheit selbst vor vielen Jahren anlässlich des Dritten Weltkriegs geschaffen hat, unterjocht werden. Die Klone, mit übermenschlicher Stärke ausgestattet und wahre Kampmaschinen, haben ihre ehemaligen Herren übermannt und die Herrschaft an sich gerissen. Die Menschen leben, zumindest die meisten, ein Leben in Dienerschaft und Sklaverei. So weit, so bekannt, so unoriginell, so langweilig. Joy wird bei einem von ihrem Clan durchgeführten Rettungsversuch von den Percents gefangen genommen. Ob Spoiler zu vermeiden, schreibe ich hier nicht weiter, aber was sich auf den nachfolgenden 300 von 520 Seiten entwickelt, ist natürlich eine Liebegeschichte. Und das Erwachen von Joy, die erkennt, dass die Welt doch ganz anders ist als die Schwarzweißmalerei vom bösen Klon und dem guten Rebellen.

Hinzu kommen schwere Logikfehler, beispielsweise die Frage, warum scheinbar perfekte Krieger ausgerechnet höchst lichtempfindlich sind, was sie zu völlig unbrauchbaren Kriegern macht. Schade.

“Glitzernder Blütenstaub tanzt in der Luft und lässt selbst einen gewöhnlichen Felsen schimmern wie einen Edelstein.”

Ich habe den Text auf mich wirken lassen und er wirkte auf mich – leider nicht so, wie ich gehofft habe und wie es die Autorin wohl beabsichtigt hat. Als erstes fiel der Weltenbau auf, ein Element, das meiner Meinung nach zum Wichtigsten gehört, was gute Science-Fiction und Fantasy leisten muss. Postapokalyptische Welten wurden schon zu Hauf entworfen. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass sich die Autorin keinerlei Zeit nimmt, die Welt – über die (Liebes)beziehung zwischen Klon und Mensch hinaus – auszudifferenzieren. Der Leser erfährt nur extrem wenig über die Stadt, über das Land, über die Geschichte der Menschen und warum alles so kam, wie es kam. Das soll möglicherweise Spannung generieren, aber dazu bräuchte man jedenfalls Teaser, inhaltliche Appetithäppchen. Diese fallen fast komplett aus. Das ganze Szenario ist um die oberflächliche, paranormale Liebesgeschichte herum entwickelt und vielleicht genau deshalb so lieblos. Der Name “Bomberland” für das Nicht-Stadt-Terrain spricht dabei Bände.

Ein Hauch von Lichtblick ist jedoch da zu verorten, wo klar wird, dass die Percents ihrerseits Rache nehmen für die jahrelange Unterdrückung durch die Menschen. Andeutungsweise verwischen hier die Grenzen von Gut und Böse. Das ist stellenweise stark, wenngleich leider in dieser Richtung die verborgenen Schätze nicht gehoben werden. Stattdessen wird, alles andere als subtil, die Liebegeschichte und deren Verdichtung vorangetrieben. Die Lovestory ist, leider muss ich es so harsch sagen, völlig absurd und nur mit einem schweren Stockholm-Syndrom der Protagonistin erklärbar.

Gute Science-Fiction und Fantasy zeichnet sich dadurch aus, dass die ausdifferenzierten Charaktere in einer fantastischen und damit unrealistischen Welt realistisch handeln. In Dark Canopy handeln mit dem Holzhammer geschnitzte, prototypische Charaktere in einer undifferenzierten, alogischen Welt höchst unrealistisch. Spannung kommt deshalb zu keiner Zeit auf.

Letztlich bin ich wohl einfach die falsche Zielgruppe. Müll ist Dark Canopy keinesfalls, aber noch sehr viel weiter weg ist das Buch vom Meisterwerk. Ich freue mich für jeden, der Freude an der Geschichte hatte. Ich hatte keine.

Dennoch ist mein Horizont nun um eine paranormal romance – Geschichte erweitert. Es gibt Schlimmeres.