Von Äxten und Büchern

Der gestrige Abend war äußerst lehrreich: Mein guter Freund Tilman von 54books und ich wurden, in Form unseres Projekts Buchguerilla, wegen ein paar Tweets als “klassistische Sexisten” beschimpft. Da es dabei auch und vor allem um die Literatur-Blogosphäre und die Gretchenfrage nach guten und schlechten Büchern ging, bieten die Vorkommnisse ausreichend Grund, das Thema nochmal aufzugreifen.

Alles begann mit vor allem zwei maßgeblichen Tweets, die wir vom Account @Buchguerilla abgeschickt haben. Die Buchguerilla ist seit Beginn bereits vom Titel her ein augenzwinkernd gemeintes Projekt, das sich – in ganz bewusster, ironischer Zuspitzung – als Vorläufer einer Revolution gegen das böse eBook sieht, für echte Bücher und echte, gute Literatur. Dazu erscheinen auf der Seite der Buchguerilla Beiträge, auch von Gastrezensenten, die alle Meinungen zulassen: Pro und kontra eBooks, pro und kontra E- und U-Literatur. Wir wollen nur diskutieren.

Das ist der Kontext. Aus dieser Melanche heraus entstand zunächst folgender Tweet:

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Bereits der Einstieg mit den Worten “Wir wollen eine Welt ohne Menschen, die…” zeigt, dass es sich ganz offensichtlich um einen humorvoll-polemischen Tweet handelt. Leider ist daraus eine Diskussion entstanden, die in einem beleidigenden Blogpost gipfelte, der sich nicht zu schade war, gleich zwei Personen mir nichts, dir nichts mit mehreren “-istisch”-Labels zu versehen. Da mir erstmals in meinen 27 Erdenjahren Sexismus vorgeworfen wurde, verspreche ich, mich in das Thema einzulesen und offen zu sein für zutreffende Kritik, eine mögliche Änderung meiner Ansichten eingeschlossen.

Bis dahin jedoch gehe ich vom sehr viel Naheliegenderen aus: Dass es sich bei der ideologischen Reaktion der besagten Dame um das Paradebeispiel eines confirmation bias handelt.

Interessanter noch ist dagegen schon der 2. Tweet, der andere Stein des Anstoßes:

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Auch bei diesem Tweet sei noch einmal auf den Hintergrund hingewiesen. Wer heutzutage einen oder – wie in unserem Fall – gleich mehrere ambitionierte Buchblogs betreibt und das Wort “Schundliteratur” in den Mund nimmt, kann es nicht ernst meinen. Wir halten es da mit Tucholsky: “Was darf Satire? Alles!”

Doch die oben genannte Dame sieht auch hier ein großes Problem und bezeichnet uns, die Jungs hinter der Buchguerilla, als “klassistisch”. Wir gehören also einer bestimmten “Klasse” an (ich dachte, dieses Denken sei ausgestorben, man spreche höchstens noch von Milieus, aber das ist ein anderes Thema), weil wir – Achtung, anschnallen! – keine Schundliteratur lesen. Umgekehrt heißt dies, das Personen einer niedrigeren Klasse im Mittel weniger dazu in der Lage sind, “gute Literatur” zu lesen. So weit, so absurd.

Doch was ist das eigentlich, Schundliteratur? Eines möge man mir bitte glauben: Als erklärter Freund von Comics und Graphic Novels, der auch mit Vorliebe den ein oder anderen Fantasyroman liest und Spielarten wie ScienceFiction, Horror und SteamPunk zugetan ist, weiß ich sehr wohl, was angebliche Schundliteratur ist. Und wie man sich fühlt, wenn jemand die eigenen Lieblingsbücher als Schundliteratur abtut. Das muss man aushalten. Man muss sich aneinander reiben wagen, will man Funken schlagen.

Da das Internet voll ist von Blogs mit Namen wie “Traumprinzessins Schmökerstübchen (zu weiteren wundervollen Namen gleich mehr), schrieb Tilman einen meiner Meinung nach gelungenen Beitrag zum Thema: Eure Vampire-Romance-kotzt-mich-an. Natürlich kann man Literatur bewerten: Dafür gibt es Kriterien. Es existiert eine ganze Fachdisziplin von Wissenschaftlern, die sich mit Literatur befassen. Das nennt man Literaturwissenschaft. Schöpferisch wertvolle, innovative, sprachlich-ästhetisch gelungene Literatur, und solche Texte, auf die das nicht zutrifft, sind objektiv-kriterial unterscheidbar.

Es gibt immer Ausnahmen, aber im Durschnitt erreicht ein selbstverlegtes eBook mit dem Titel “Die Armee der Gestaltwandler greift an” oder “Zahnarztfrau Tina im Katzenkinderglück” nicht die gleiche Schöpfungshöhe wie Dostojewskis “Spieler” oder Spiegelmans “MAUS”.

Was folgt daraus? Gar nichts! Jeder darf lesen, was er will. Jeder soll seinen Blog betreiben, wie er möchte. Im Zweifel führt Lesen glücklicherweise zu mehr Lesen. Aber: Wegen ein paar zugegebenermaßen leicht provokativer Tweets sollte man die Kirche im Dorf lassen.

Da Kafka, schon zu Lebzeiten ein großer Feind von KatzenKuchenBücherBlogs, heute 130 Jahre alt geworden wäre, schließe ich mit einem wunderbaren Zitat, abfotografiert von meinem Lieblings-T-Shirt:

kafkashirt