#echteWörter

Wem geht es noch so?

Halunke. Banause. Gauner. Tunichtgut.

Manchmal stolpere ich über ein Wort. Dabei meine ich keine alltäglichen Wörter, keine Wörter aus Fremdsprachen, die ich nicht spreche und auch keine Wörter aus Fachterminologien, die ich nicht beherrsche.

Ich stolpere über Alltagswörter. Das Stolpern geschieht nicht physisch, aber die Wirkung ist eine ähnliche: Ich stutze, halte inne. Und denke kurz nach: Was ist da gerade passiert?

Pechmarie. Miesepeter. Engelszungen. Rubensfrau.

Es gibt Alltagswörter, die selten geworden sind, die gleichsam im kollektiven Sprachgedächtnis verschüttet wurden. Dabei handelt es sich bei diesen Wörtern um einen Schatz, den es zu heben und zu konservieren gilt. Um Wörter mit Charakter – #echteWörter eben.

Geratewohl. Ungemach. Behaglichkeit. Dafürhalten.

Auf Twitter habe ich versucht, einige dieser Kleinode (schon wieder so ein Wort!)  unter dem Hashtag #echteWörter zu sammeln. Durch das erhaltene Feedback wurde eine ganze Reihe schöner, alter, mehr oder weniger gebräuchlicher, jedenfalls authentisch-echter Wörter zusammengetragen:

eWFrage

eWAntwort1

eWAntwort2

eWAntwort3

Die Zusammenstellung der Wörter kann auch Poesie sein:

eWPoesie

Dieser Schatz ist noch lange nicht gehoben. Wer von Euch kennt noch mehr dieser kleinen, aber feinen Sprachperlen? Ich freue mich über jedes #echteWort!

Zum Abschluss meinen Liebling:

eWGrieben

Griebenschmalz!

In diesem Sinne: Guten Appetit.
#echteWörter sind Delikatessen. Lasst sie Euch schmecken.

Mehr als nur 50 Facetten des Grau

Vorweg: Man verzeihe mir das latente Wortspiel in der Überschrift.

In medias res: Kann man etwas scheinbar Klassisches wie hochwertigen Buchdruck mit etwas scheinbar Modernem wie Twitterlyrik verbinden? Den Beweis, dass man kann, führt “horst, hund & brodt” mit seinem Werk “Das Grau, die Tage”. Das so betitelte Buch lief mir über Twitter zu. Es handelt sich um Kurzprosa des Twitter-Accounts @horsthundbrodt, und ich sage es gleich: Kurzprosa ist nicht so mein Ding. Jedenfalls nicht so sehr, wie Romane, Novellen oder Comics meine Dinger sind…quasi. Dennoch: Das Werk erschien im Mai in der 1. Auflage, auf nur 99 Exemplare limitiert, dazu in einem schönen Druck auf vernünftigem Papier, signiert noch dazu, und on top gab’s noch einen ebenfalls signierten Postkartendruck. Klar, dass ich zuschlagen musste. Nun bin ich stolzer Besitzer von 64/99.

dasgraudietage

Jetzt fragt mich der geneigte Leser: Wer oder was zur Hölle ist das, dieses “horst, hund und brodt”? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Weder bei Twitter noch auf der Page sind genaue Informationen über den Autor / die Autorin zu holen. Noch ehrlicher gesagt habe ich aber auch gar nicht so genau gesucht. Denn: Ich mag es, mit dem Autor / der Autorin bei Twitter kommunizieren zu können, das Buch von diesem Menschen zu lesen, seine / ihre Gedanken zu fühlen und dennoch nichts von der Person zu wissen. Umso eher entsteht eine Projektionsfläche, die ich gerne fülle. In meiner Welt ist “horst, hund & brodt” ein posthipsteresquer Anfangdreißiger, der in Kreuzberg einen Medienjob macht und nebenbei sein lyrisches Twitter-Ich pflegt.

Und wie pflegt er (oder, verdammt nochmal! sie) es? Ohne vorherige Beschreibung mal direkt ein Beispiel:

Beim Umdrehen der Tage
knacken die Gelenke der Stadt.
Das Blau kommt, der Morgen.

(S. 160)

Das evoziert Gedanken. Bei Twitter habe ich den Stil von “Das Grau, die Tage” als haikuähnliches Emotionskondensat bezeichnet. Und genau so meine ich es: Kleinste Augenblicke, Sekunden nur, die eingefangen werden in Worten. Augenblicke, die so stattgefunden haben können oder aber niemals so stattfinden könnten, absonderliche Augenblicke, Augenblicke mit und ohne Menschen, Augenblicke, bei denen man unweigerlich anfängt, zu assoziieren. Viele der kurzen “Geschichten” oder Gedichte haben mich an Situationen aus meinem Leben erinnert oder Gedanken von mir nachgezeichnet. Genau das und nichts anderes ist die Magie von Literatur.

Natürlich gibt es auf den 176 Seiten des Buches auch einige Ausfälle, ein paar Platitüden. Aber das kommt vor. Die meisten Fragmente sind starke Lyrik, gar nicht so grau, wie der Titel suggeriert, melancholisch zwar, aber manchmal sogar optimistisch, farbenfroh. Naja, manchmal.

”Das Grau, die Tage” enthält wundervolle Twitterhaikus (schreibt man den Plural mit einem “s” am Ende?), deren Lektüre sich lohnt.

Zuletzt noch mein Liebling:

Nieselregen,
goldene Lichtkegel,
Verladebahnhöfe.

In der organisierten Abwesenheit:
ein Hund, im Schutz eines Triebwagens,
vielleicht Gott.

(S. 75)

Nichts reimt sich, und warum sollte es auch?