Die Sache mit Sorge

“Heute machen wir Geschichte! Ich, Richard Sorge, werde Hitler besiegen!”

Geschichten über das Dritte Reich wirken häufig abgedroschen, da sie scheinbar alle schon einmal erzählt wurden. Anders verhält sich dies bei wahren Geschichten, die auch noch gut recherchiert wurden. Richtig spannend wird es meiner Meinung nach dann, wenn eine wahre Geschichte zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt, der Ort der Handlung allerdings nicht in Europa liegt, sondern woanders auf unserem (nicht nur) zu dieser Zeit kriegsgebeutelten Planeten. Genau dies ist das Setting des 2008 bei Carlsen erschienenen Comics “Die Sache mit Sorge” von Isabel Kreitz.

Die Geschichte spielt zu Beginn der 1940er Jahre in Tokio, hauptsächlich an der dortigen deutschen Botschaft. Ein derartiger Perspektivwechsel – weg vom häufig eurozentrisch erzählten Krieg in unseren Gefilden – ist höchst lehrreich: Man gewinnt deutlicher als sonst den Eindruck, dass der Krieg ein wahrer Weltkrieg war, dass der Schrecken des nationalsozialistischen Terrorregimes bis in die “entlegensten” Ecken vordrang. Allein dafür, aus dieser Geschichte, die fernab von den Geschehnissen in Deutschland spielt, einen 240 Seiten starken Comic gemacht zu haben, gebührt Isabel Kreitz Dank.

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Protagonist der Sache mit Sorge ist der Deutsche Dr. Richard Sorge, vordergründig Journalist, tatsächlich jedoch russischer Spion, der das uneingeschränkte Vertrauen des deutschen Botschafters in Tokio erlangen konnte und daher bei der Botschaft ein und aus ging. So war es Sorge, der Stalin vor dem Überfall der Wehrmacht auf Russland (“Unternehmen Barbarossa”) warnte – wie sich herausstellte ein Kassandraruf. Kreitz’ Werk zeichnet das Wirken des Kommunisten Sorge in den Kriegsjahren nach und geht dabei nicht nur auf die politischen und spionagebezogenen realen Vorkommnisse ein, sondern nimmt sich auch viel Raum für die private Geschichte hinter dem Meisterspion Sorge. Seine Beziehung zu der begnadeten Musikerin Eta Harich-Schneider – eine von vielen Frauen, mit denen der Frauenschwarm Sorge anbandelte – steht im Zentrum der Geschichte. Dennoch ist die Politik, dennoch ist die Gefahr stets präsent. Das erzeugt von Beginn an Spannung, die über das gesamte Geschehen hinweg erhalten wird.

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Kreitz wählte einen naturalistischen Zeichenstil für die ganz mit Bleistift bzw. Graphit erstellten Panels. Eine Optik, die mir an sich weniger gut gefällt, hier jedoch aufgrund der ernsten und ruhig erzählten Geschichte stets stimmig ist. Die Panelstruktur ist geradlinig, selten nur finden sich Brechungen, was zur linearen, niemals sprunghaften Erzählweise passt. Allerdings greift Kreitz beim Vorantreiben des Plots auf einen interessanten Kunstgriff, den man vor allem aus TV-Dokus kennt: Die Personen, die in der damals geschehenen Kerngeschichte auftreten, werden immer mal wieder in ihrem heutigen Alter gezeigt und kommentieren das historische Geschehen aus der Gegenwart heraus. Das klingt nach lahmer Guido-Knopp-Doku, ist aber weitaus feinfühliger umgesetzt.

Ein Kritikpunkt ist die nicht übersetzte Nutzung des Japanischen: In vielen Panels treten japanische Spionageabwehragenten auf, während sich die Schlinge um den Spionagering Sorge enger zieht. Diese Agenten sprechen in ihrer Muttersprache, was realistisch ist und Atmosphäre schafft. Leider übertreibt es Kreitz ein wenig damit; nach einigen Seiten möchte man dann doch gern erfahren, was die Herren zum Beispiel bei den Verhören von Sorges japanischen Zuarbeitern zu sagen haben.

Insgesamt ist “Die Sache mit Sorge” ein höchst lesenswerter und vor allem lehrreicher Band. Ein umfassender Anhang mit Fotos des realen Sorge und mit weiteren biographischen Informationen zu den Personen runden das Comic ab. Eine echte Kaufempfehlung.

Munch!

Comicbiographien haben momentan Hochkonjunktur. Alle werden sie in kleine oder große Bildchen gepackt und mit Sprechblasen versehen: Freud, Kafka, Schiele, Castro, Chagall (naja…ein wenig, Joann Sfar halt, dazu demnächst mehr), Wagner, Nietzsche, Thoreau… Natürlich nehme ich diese Entwicklung mit Freude auf und verkünde: Ich will sie alle lesen und rezensieren! Challenge accepted!

Die Biographie ist jedoch ein Genre, das mich zwar immer schon gereizt hat, das allerdings aufgrund verschiedener Aspekte schwer zugänglich ist: Eine Biographie schimmert immer nur durch die Linse des Biographen, eine Autobiographie leidet an der notwendigerweise selektiven Wahrnehmung des sich selbst beschreibenden Schreiberlings. Ein über alle Maßen positives Beispiel der Gattung “Autobiographie” ist Stefan Zweigs “Die Welt von Gestern”. Im Idealfall, und Zweigs Werk stellt meiner Meinung nach diesen Idealfall dar, lernt man bei der Lektüre einer Biographie / Autobiographie nicht nur eine Menge über die beschriebene Person und ihr Leben, sondern auch über die Zeit, in der der Beschriebene lebte, über die Gedankenwelt seiner Zeitgenossen und die damalige Kultur.

Verglichen mit diesem Anspruch waren meine Erwartungen an die Comicbiographie “MUNCH” von Steffen Kverneland gelinde gesagt…beträchtlich.

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Als ich das Buch auspackte (“Unboxing”, wie es neudeutsch heißt, demnächst mache ich dazu YouTube-Videos…nicht), war ich überrascht: Ich hatte mit einem viel dünneren Werk gerechnet, und zwar mit einem Tradepaperback. Weit gefehlt: “Munch”, erschienen im kleinen, aber höchst feinen und anspruchsvollen avant-Verlag, ist ein 270 Seiten starkes Hardcoverbuch in Übergröße, dessen Verarbeitung hohen bibliophilen Ansprüchen genügt. Es fehlt eigentlich nur noch das Lesebändchen und der Schuber, um mal ein paar Klischees zu bedienen.

Der Landsman des großen norwegischen Expressionisten Edward Munch, Steffen Kverneland, der sich für Idee, Konzept, Text, Zeichnungen, Farben – also für einfach alle Bereiche des Comics – verantwortlich zeichnet (haha, der Zeichner zeichnet sich verantwortlich…), hat mit “Munch” ein hochinteressantes Werk vorgelegt.

Das liegt an sage und schreibe gleich drei Kunstgriffen:

1. Kverneland beschreibt sich selbst während des kreativen Schaffensprozesses bei der Entstehung von “Munch”.
2. Kverneland beschreibt, wie die Meisterwerke Munchs entstehen – und pflanzt diese als von ihm selbst detailliert nachgemalte „Originalbilder“ direkt in die Panels.
3. Kverneland lässt ausschließlich historische Persönlichkeiten in ihren eigenen Worten sprechen – sei es Munch selbst aus seinen Briefen oder seien es Auszüge aus zeitgenössischen Zeitungsartikeln.

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Klingt überladen, klingt zu ambitioniert, klingt nicht umsetzbar. Kann niemand schaffen.

Sicher? Nein, Kverneland hat es geschafft: “Munch” ist nicht nur gut gelungen, es ist Kvernelands Meisterstück. Selten habe ich mich bei der Lektüre der Beschreibung einer Person und ihres Lebens dieser so nahe gefühlt, selten habe ich auf gleich mehreren Ebenen so viel über den Prozess des kreativen Schaffens gelernt.

Traumwandlerisch sicher spielt Kverneland mit Cartoonhaftem, mit Selbstironie, Überzeichnung, Detailtreue, Dialog und Handlung sowie mit der Gedanken- und der physischen Welt: Alles ist verworren und komplex, aber zwielichtig und wunderschön. So wie die Bilder Munchs, so wie seine Seele.

Kvernelands “Munch” ist nicht nur ein Comic. “Munch” ist ein Meilenstein.

Na, können Wagner, Kafka, Thoreau und Co das toppen? Ich bin gespannt, was da noch kommen mag.

Apokalyptische Bildfolgen

Der momentane Boom für Comics und sogenannte Graphic Novels beschert uns seit einigen Jahren in schöner Regelmäßigkeit wahre Meisterwerke der Neunten Kunst. Das hängt auch damit zusammen, dass sich das Medium – bzw. die daran Beteiligten, die Autoren, Zeichner, Verleger – mehr trauen: Buchstäblich alles kann Stoff für ein Comic sein, jede Literaturgattung ist adaptierbar. Wie sagt Scott McCloud zu Recht? Die Möglichkeiten des Comics sind unbegrenzt.

Der beschriebene Boom führt jedoch auch dazu, dass in der Vielzahl der ambitionierten Projekte gelegentlich das Ziel verfehlt wird. So leider auch, zumindest für mich ganz persönlich, bei “Das Buch der Offenbarung” von Matt Dorff und Chris Koelle. Das Werk ist auf deutsch im ansonsten von mir geschätzten ATRIUM-Verlag erschienen.

Die beiden US-Amerikaner Matt Dorff (Szenarist) und Chris Koelle (Zeichner) haben sich einen der bekanntesten Texte der Weltliteratur vorgenommen: Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes.

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Der Clou bei dieser Form der grafischen Adaption ist: Der Text wurde nicht verändert. Auf deutsch in der Übersetzung Martin Luthers, enthält das Comic den gesamten Text der biblischen Offenbarung, soweit ich das ersehen kann ungekürzt. Positiv daran ist, dass damit ein interessanter neuer Ansatz verwirklicht wurde: Das zu adaptierende Grundwerk wird belassen, der Text des Originals kommt unverändert zu Wort, der Autor des Grundwerks ist damit gleichzeitig Szenarist des Comics. Dieser Ansatz ist spannend und sollte künftig noch weiter verfolgt und erprobt werden.

In Dorffs / Koelles “Offenbarung” funktioniert dies hingegen meiner Meinung nach nicht. Der Text der Offenbarung ist zutiefst symbolisch, höchst inkohärent und damit durchweg kryptisch. Ich gebe zu, dass ich bei weitem kein Theologe oder bibelfester Gläubiger bin, aber ich denke, ein solches Werk sollte den Anspruch haben, auch für den aufgeschlossenen, an religiösen Texten Interessierten zugänglich zu sein. Das Problem hier: Der ohnehin inhaltlich parzellierte Text wird durch die Panels noch stärker verzerrt.

Nichts gegen Koelles Fertigkeiten am Zeichenbrett: Koelles Bilder sind durchweg von epochaler Wucht, glänzend gezeichnet und meisterhaft koloriert. Leider jedoch – und es scheint, wie der Anhang andeutet, liegt dies an den Vorgaben Dorffs – ist das gesamte Werk von einem dauerpräsenten Pathos durchzogen, von einem verherrlichenden Unterton, der zwischen Gewalt und Erlösung nicht unterscheidet. Dies verstärkt den Eindruck des reinen Texts, nimmt der Bildebene aber viele Möglichkeiten. Es wird keine Geschichte erzählt – die Panels hängen, genau wie Sequenzen des Texts, im Raum und nicht bzw. nur stellenweise zusammen. Eine – nicht zwingend ironische – moderne Brechung irgendeiner Art findet in den Bildern Koelles nicht statt.

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Erhofft habe ich mir, dass – eventuell auf einer gerade hier mehr als notwendigen narrativen Metaebene, vielleicht aus dem Munde des historischen Johannes – bestimmte kulturelle Topoi, wie die satanische Zahl “666”, erläutert werden. Der Grundaufbau des Comics als mit epischen Bildern unterlegte Textwiedergabe erlaubt dies nicht.

Ich kann dieses Comic jedem empfehlen, der ein Sonderinteresse an der Bibel und insbesondere an den großen biblischen Plagen, der Apokalypse bzw. dem Harmagedon hat. Doch darauf beschränkt es sich.

Großes Lob gebührt den Machern jedoch für ihren Mut. Scheitern gehört dazu, will man das Medium Comic ausloten und weiterführen.