Lesekultur in Sri Lanka

Oder: Culture-Clash eines europäischen Bibliophilen

Die Ausgangslage

Drei Wochen Südasien – als mich ein guter Freund zu seiner Hochzeit auf Sri Lanka einlud und auch noch zum Trauzeugen ernannte, war ich hocherfreut und gespannt. Bei der Reise standen, aufgrund der Hochzeit und da es eine Rundreise quer durch das Land werden sollte, andere Dinge als das Lesen im Vordergrund. Aber natürlich fasziniert mich der Umgang mit Literatur, Büchern und dem Lesen an sich überall, wo ich bin, und daher hielt ich die Augen offen.

Herausgekommen sind dabei einige natürlich höchst subjektive Beobachtungen der Lesekultur in Sri Lanka. Subjektiv und zufällig: Ich habe beobachtet; für eine geplante Recherche war die Reise nicht ausgelegt.

Wer aber nun einen Bericht über entspannte Lesestunden im Strandcafé erwartet, darf sich enttäuschen lassen.

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Sri Lanka – Land der Löwenkinder

Auf der Insel, im Indischen Ozean gelegen, besteht die Bevölkerung zu 74% aus der Volksgruppe der Singhalesen, frei übersetzt “Löwenkinder”, die die singhalesische Sprache (Sinhala) sprechen. Sinhala weist ein eigenes Schriftsystem auf, wie auf einigen der Fotos zu sehen. Die Singhalesen sind traditionell Buddhisten, und Sri Lanka ist so stark wie nur wenige andere Länder buddhistisch geprägt. Gleichzeitig ist Sri Lanka ein armes und nicht sehr entwickeltes Land, nimmt im Human Development Index der Vereinten Nationen Rang 73 ein (Deutschland ist auf Rang 6).

Diese drei Faktoren – Sinhala, Buddhismus und Armut – bestimmen meines Erachtens die Lesekultur auf Sri Lanka. Oder zumindest den Eindruck, den ein europäisch geprägter Bibliophiler davon gewinnen muss.

Sinhala

Das Land ist touristisch stark erschlossen, aber nicht überlaufen. Dennoch wunderte ich mich zunehmend, als ich nicht einmal in den Touri-Hochburgen – Kandy, Nuwara Eliya, Galle – Buchläden fand, die englischsprachige Bücher in größerer Zahl anboten. Alles war auf Sinhala geschrieben, und das mache ich selbstverständlich niemandem zum Vorwurf. Wer auf Bücherjagd aus ist, soll nach Wien, London oder New York fahren, das ist klar. Dass ich auf der gesamten zweiwöchigen Reise nur ein knappes Dutzend englischsprachiger Publikationen gesehen habe, ist dennoch verwunderlich.

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Ohnehin sieht man Buchläden sehr selten. Bei vielen entpuppt sich die Bezeichnung als “Book Shop” nach dem Betreten dann gänzlich als falsch, da es in den meisten Buchläden vor allem zwei Dinge zu kaufen gibt: Zeitschriften und Lose. Losverkäufer sieht man überall, ihr Mekka scheinen jedoch die “Buchläden” zu sein. Das hat mich irritiert –  was haben Lose in einem Buchladen zu tun? Und warum sind die Losverkäufer omnipräsent? Ich fragte einen Einheimischen, der mich aufklärte: Die Lose stammten von der staatlichen Lotterie und hätten in Sri Lanka zum Teil den Charakter einer Ersatzwährung. So könne man als Einheimischer mit den Losen beispielsweise gut beim Arzt oder in der Apotheke seine Rechnungen begleichen.

Da wurde mir klar: Das, was sie als Book Shop bezeichnen, ist eine Art Kiosk mit bestimmten Versorgungsleistungen. Einen klassischen Buchladen im westlichen Sinne habe ich auf der Reise nicht gesehen.

Auch das verwundert, denn das Sinhala-Schriftsystem ist quicklebendig. Sri Lanka hat mit 92% eine der höchsten Alphabetisierungsraten Südasiens. Fast alle Singhalesen können lesen. Womit wir beim zweiten Punkt meiner Laienanalyse sind.

Buddhismus

Der Buddhismus ist allgegenwärtig. Am wichtigsten Tempel des Landes in der Stadt Kandy steht “It’s not Religion, it’s Knowledge”. Unter anderem das zeigt, dass der Buddhismus an sich eine vergleichsweise bildungsaffine Religion beziehungsweise Philosophie ist. Was wiederum die hohe Alphabetisierungsrate erklärt und die staatlicherseits streng eingehaltene Schulpflicht.

Zudem ist dies auch der Grund dafür, dass fast alle der wenigen englischsprachigen Bücher, die ich gesehen habe, buddhistische Publikationen sind (obwohl im Buddhismus keine Missionierung stattfindet wie im Christentum). Natürlich habe ich auch hier zugeschlagen und meine Bibliothek um drei buddhistische Werke ergänzt. Das bibliophile Herz konnte kurz aufatmen.

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Armut

Warum man trotz hoher Alphabetisierungsrate und allgemein bildungsaffiner Kultur niemanden (!) in der Öffentlichkeit mit einem Buch (oder auch nur einer Zeitung) in der Hand sieht, ist auf den dritten Punkt zurückzuführen: Das Land ist arm. Die Menschen Sri Lankas haben andere Sorgen. Wer Zeit zum Schmökern hat, dem geht es verdammt gut. Das trifft auf viele Sri Lanker jedoch gerade nicht zu.

Es geht für die meisten Sri Lanker vielleicht nicht um das tägliche Überleben, aber dennoch steht die Armut im Mittelpunkt des Lebens der breiten Masse. Eine Teepflückerin verdient umgerechnet ca. drei Euro pro Tag, hat aber nicht jeden Tag Arbeit, da die Teepflanzen nicht täglich, sondern nur etwa alle zwei Wochen geerntet werden. Von wenigen Euro im Monat kann man auch in Sri Lanka nicht leben – oder nur sehr schlecht.

Daher gibt es keine öffentlichen Leser, und deshalb gibt es auch so wenig Cafés mit Lesenden, wie man sie hier sieht – bis auf einige wenige Cafés in den größeren Städten, die aufgrund ihrer Preise den Touristen vorbehalten bleiben.

Was bleibt: andere Augen

Wer tagtäglich versucht, aus seiner Holzhütte heraus für ein paar Rupien seine Mangos loszuwerden, hat kein Bedürfnis, Kafka oder Dostojewski zu lesen. Das war vor der Reise klar. Dafür, dass unsereins in einem Land lebt, in dem die materiellen Bedürfnisse soweit sichergestellt sind, dass Zeit und Geld für Kulturgenuss bleibt, bin ich sehr dankbar. Dankbarer als vor der Reise.

Nur der Zufall der Geburt gibt uns erst die Möglichkeit, passionierter Leser zu sein.

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